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Politik: Aus den Gleisen geraten

Von Gerd Appenzeller

Für Hartmut Mehdorn ist die Sache gelaufen. An den beiden östlichen Bahnsteigen jenes Bahnhofs, den weiter Lehrter Bahnhof zu nennen man uns am liebsten untersagen möchte, wird der künftige Reisende bereits heute mit einer großen Hinweistafel freundlich begrüßt: „Herzlich Willkommen auf dem Berliner Hauptbahnhof“, kann man vom SBahnsteig aus lesen. Wenn es nach Bahnchef Mehdorn geht, kommen auch künftige Adressaten des Grußes eher aus Brandenburg an der Havel und Kyritz an der Knatter als aus München oder Hamburg. Entgegen allen Planungen will die Bahn den Fernverkehr plötzlich in den Nord-Süd-Tunnel schicken und unter dem schicken Glasdach nur noch Stadt- und Regiobahnen halten lassen.

Ist dies schon angesichts der Zwei-Milliarden-Mark-Investition in die Stadtbahn und des ICE-tauglichen Umbaus mehrerer Bahnhöfe reichlich absurd, bringt eine weitere Folge der Mehdorn’schen Überrumpelungstaktik die Berliner in Ost und West in Rage. Sowohl der Bahnhof Zoo als auch der Ostbahnhof sollen vom Fernverkehr abgehängt werden. Der neue Hauptbahnhof soll einziger Fernbahnhof werden.

Diesem Konzept könnten auch Stadtplaner noch folgen, wenn der neue Hauptbahnhof gut an den Nahverkehr angebunden und für den Individualverkehr leicht erreichbar wäre. Nichts davon trifft zu. Der Hauptbahnhof liegt zwar zentral, aber mitten in einer menschenleeren Einöde, zwischen dem Zentrum Ost und dem Zentrum West. Weder gibt es auf große Verkehrsmengen ausgelegte Straßen noch ausgewiesene Parkflächen oder eine U-Bahnanbindung, wenn man von der geplanten Bonsaibahn zum Brandenburger Tor einmal absieht.

Nun hat auch die Bahn ein Recht auf Fehlplanungen, wie es von den Banken über die Immobilienmakler bis zu den Wachstumsprognostikern jeder in Berlin Engagierte für sich beanspruchen darf. Es ist halt nicht alles so groß gekommen, wie gedacht. Aber dass man aus den falschen Annahmen von gestern, angesichts der Realität von heute, auch noch die Fehler von morgen ableiten möchte, geht zu weit. Nüchtern betrachtet, ist der neue Hauptbahnhof im Moment vielleicht sogar überflüssig. Das rechtfertigt aber nicht, funktionierende Verkehrsstrukturen zu zerschlagen, um dem Neubau seinen Sinn zu geben.

Der Widerstand dagegen hat nicht nur mit Sentimentalität zu tun. Natürlich darf man als West-Berliner beim Anblick des wahrlich nicht schönen Bahnhofs Zoo rührselige Gefühle bekommen. Die Ankunft in diesem Bahnhof war früher, wie die Fahrt über die Avus Richtung Funkturm, nach dem Passieren des Kontrollpunktes Dreilinden, so etwas wie die Vergewisserung, wieder daheim, frei zu sein. Es geht aber nicht um Nostalgie, sondern um den gesunden Menschenverstand. Was den West-Berlinern der Bahnhof am Zoo, ist den Ostberlinern der Ostbahnhof. Auch er liegt zentral, auch hier pulsiert das Leben. Von hier fahren, wie vom Zoo, alle Fernzüge ab. Bahnchef Mehdorn will der jeweiligen Hälfte der Stadt „ihren“ Zentralbahnhof streichen, das ist die simple Wahrheit.

Die Bahn hat in Berlin vieles gebaut, auf das sie stolz sein kann. Sie hat die Stadt bereichert. Die Bahn ist ein Unternehmen mit Tradition. Aber nicht alle Entscheidungen werden für die Ewigkeit getroffen. Die Frage, wo ein Zug hält, gehört zum Beispiel nicht zu den irreversiblen Entscheidungen. Zwar ist der neue Hauptbahnhof als zentrale Station Berlins gesetzt. Daneben aber können die Züge sowohl im Ostbahnhof als auch am Zoo halten. Andere Millionenstädte – siehe Hamburg – haben ebenfalls mehr als einen Haltepunkt im Fernverkehr. Wenn sich in einigen Jahren der Verkehr zur Mitte hin konzentriert, auch, weil es rund um den heutigen Lehrter Bahnhof nicht mehr nur Sandflächen gibt, sondern dort reges Leben pulsiert, kann man Haltepunkte aufheben.

Dass man einen Trumpf verspielt, wenn man sich unterirdisch in eine Metropole einschleicht, statt die Einfahrt als grandioses Erlebnis zu inszenieren, wird die Bahn hoffentlich schneller merken.

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