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Politik: Aus der Regierung ins Gefängnis

Premier des Kosovo soll Serben und eigene Landsleute ermordet haben

Von Caroline Fetscher

Es war wohl seine vorerst letzte Rede in Freiheit. Vor wenigen Tagen noch sprach Ramush Haradinaj auf einer Gedenkfeier für Opfer des Widerstands gegen serbische Milizen. Als Kosovos 36-jähriger Premierminister vor Tausenden im Stadion der Hauptstadt Pristina das Wort erhob, bekam er Buhrufe zu hören statt Applaus. Unbeliebt hat sich der seit Dezember amtierende Politiker bei vielen gemacht, auch durch die taktische Koalition seiner Partei „Allianz für die Zukunft von Kosovo“ mit der des gemäßigten, älteren Politikers Ibrahim Rugova.

Der pfeifenden Menge begegnete Haradinaj mit Sarkasmus: „Ihr Kommandanten von Blace!“ Die Botschaft: Er, Haradinaj, war im Kosovokrieg von 1998 und 1999 Kommandant der Befreiungstruppe UCK – andere harrten tatenlos im mazedonischen Flüchtlingslager Blace aus. Der Ruhm des Freiheitskämpfers hilft ihm nun nicht mehr. Am Dienstag traf aus Den Haag die Anklage gegen ihn in Pristina ein. Nun ist er unterwegs vom Premierministersessel in eine Zelle der Untersuchungshaftanstalt am UN-Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien.

Spekuliert wurde seit Monaten, ob und wann Chefanklägerin Carla del Ponte Haradinaj ins Visier nehmen würde. „Gegen mich liegt keine Anklage vor“, erklärte der noch vor kurzem. Aber Vorwürfe gegen Haradinaj kursieren seit längerem. Der Mann, der sich seinen Weg vom Türsteher in Schweizer Nachtclubs über die UCK und ein Jurastudium in die Politik der UN-verwalteten Nachkriegsprovinz bahnte, soll dafür verantwortlich sein, dass während der bewaffneten Auseinandersetzungen von 1989 und 1999 in seiner Region in Westkosovo serbische Zivilisten terrorisiert und ermordet und „unkooperative“ albanische Landsleute misshandelt oder getötet wurden. Mit Benzinschmuggel und ähnlichen Geschäften, heißt es, habe Haradinaj, der in Pristina eine Villa und einen Wagenpark besitzt, überdies ein stattliches Dollarvermögen angehäuft. „Wenn Den Haag mich ruft“, hatte der Premier oft vollmundig erklärt, „werde ich gehen“. Am Dienstag erklärte er seinen Rücktritt. Seine Gegner atmen auf. „Es war eine Schande für unser Land, dass einer wie er an der Spitze stand“, sagte ein albanischer Intellektueller.

Wie es weitergeht im Kosovo, wo 60 Prozent der zwei Millionen Einwohner arbeitslos sind, das liegt auch in den Händen von UN-Verwalter Sören Jessen-Petersen. Das Land bekam von den UN strikte Auflagen zur Erfüllung von Standards, Minderheitenrechte und wirtschaftliche Transparenz gehören an erster Stelle dazu. Beruhigend für die UN-Mission im Kosovo (Unmik) immerhin, dass Haradinajs Reise nach Den Haag wohl nicht zu ähnlichen Unruhen führen wird, wie Kosovo sie im März 2004 erlebte, als elf Albaner und neun Serben starben. Als entscheidend für Kosovos Zukunft gilt, dass die Statusfrage geklärt wird. Solange das Gebiet weder Staat noch Provinz ist, bleiben Investoren fern.

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