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Politik: Aus fünf mach neun

Immer mehr Staaten werden zu Atommächten – auch aus Angst vor den USA

Berlin - Die Warnung kam aus berufenem Munde. „Wenn wir so weitermachen, wie bisher, dann werden wir in zehn Jahren 20 bis 30 Länder haben, die ich als Atomwaffen-Schwellenländer bezeichnen würde“, sagte Mohammed al Baradei, im vergangenen Mai. Damit räumte erstmals auch der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien ein, was Fachleute seit langem befürchten: Das bisherige Regime gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen steht vor dem Zusammenbruch. Der Atomwaffensperrvertrag (Non Proliferation Treaty, NPT), der vor 35 Jahren in Kraft trat, verliert bei den Regenten aufstrebender Entwicklungsländer an Akzeptanz und ist womöglich bald nicht mehr durchzusetzen. Schuld daran sind die in sich widersprüchliche Konstruktion des Vertrages und die Doppelmoral der offiziellen fünf Atomwaffenstaaten beim Umgang mit dessen Bestimmungen.

So haben zwar 183 der 188 Mitgliedstaaten auf den Erwerb von Atomwaffen verzichtet. Aber zugleich garantiert der Vertrag ihnen ausdrücklich den Zugang zu allen Technologien für die zivile Nutzung der Atomkraft. Dazu zählt jedoch auch die Gewinnung spaltbarer Stoffe wie angereichertes Uran 235 oder Plutonium, deren Erwerb das einzig wirklich ernste Hindernis für den Bau von Atomwaffen ist. Folglich ist es völkerrechtlich vollkommen legal, dass das NPT-Mitgliedsland Iran die Technologie zur Urananreicherung entwickeln will, auch wenn dies dem Land faktisch den Status eines Atomwaffenstaates im Stand-by- Modus verleihen wird. Offenkundig folgen die Militärstrategen in Teheran der Einsicht, die ein indischer General bereits 1991 als Lehre aus dem damaligen Golfkrieg zog: „Lege dich niemals mit den USA an, wenn du nicht über Atomwaffen verfügst.“ Denn schon die plausible Behauptung, man verfüge über Nuklearwaffen und zugehörige Trägerraketen, würde eine amerikanische Invasion wie im Irak unmöglich machen – ein Umstand, der auch dem Schreckensregime von Nordkorea das Überleben sichert.

Dieser Weiterverbreitung des Prinzips der nuklearen Abschreckung nach dem Ende des Kalten Krieges leisten die fünf dem Vertrag nach legalen Atommächte selbst kräftigen Vorschub. Nicht nur ignorieren sie konsequent ihre im Artikel VI niedergelegte Verpflichtung zur „nuklearen Abrüstung“. Sie messen auch beim Umgang mit nuklearen Aufsteigern mit zweierlei Maß. Indien, das schon im Jahr 1974 eine erste Demonstrations-Bombe zündete, wird ohnehin längst als Atomwaffenstaat selbst von den USA akzeptiert. Beim jüngsten Besuch des indischen Premiers in den USA haben beide Staaten sogar ein Kooperationsabkommen bei der Weiterentwicklung von Atomtechniken ausgehandelt. Und auch das seit sieben Jahren offiziell mit Atomraketen ausgerüstete Pakistan muss – obwohl diktatorisch geführt und von Islamisten unterwandert – keine Sanktionen fürchten.

Vor allem der Umgang mit dem Fall Israel untergräbt alle Glaubwürdigkeit der USA und ihrer Alliierten beim Einsatz gegen die Verbreitung von Atomwaffen. Obwohl das bis dahin geheime israelische Atomprogramm schon 1986 enthüllt wurde, gibt es bis heute keine Anstrengung, Israel zur Aufgabe seiner Atomwaffen zu bewegen. So wurden aus den fünf nunmehr neun Atomwaffenstaaten, mit Iran ist ein zehnter auf dem Weg dahin. Al Baradei plädiert darum für ein fünfjähriges Moratorium beim Bau neuer Nuklearanlagen, um das Kontroll- und Abrüstungsregime völlig neu zu verhandeln. Doch bei der jüngsten Überprüfungskonferenz vergangenen Mai schaffte es der Vorschlag nicht einmal bis auf die Tagesordnung.

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