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Politik: Aus Groß wird Klein

In New York droht ein UN-Gipfel der Enttäuschung – wollte die Weltorganisation zu viel auf einmal?

Rund um die First Avenue in Midtown sieht New York in diesen Tagen wie eine Festung aus. An jeder Ecke versperren schwere Beton-Barrikaden den Weg. Für Fußgänger gibt es nur schmale Durchlässe, die von Polizisten kontrolliert werden. Wer wann gerade durchdarf und für wie lange, weiß niemand vorher zu sagen. Wenn am Hauptsitz der Vereinten Nationen (UN) in New York große Dinge passieren, macht man am besten einen weiten Bogen um das Gelände am East River. Zumindest äußerlich hat der Reformgipfel zum 60. Geburtstag der UN alles, was ein Weltereignis von solchem Rang auszeichnet. Mehr als 170 Staats- und Regierungschefs werden bis Freitag an das Rednerpult in der Generalversammlung treten, und wer wegen Wahlkampfendspurt (Gerhard Schröder) oder Krankheit (Jacques Chirac) nicht kann, schickt einen hochrangigen Stellvertreter.

Selbst der UN-Dauerkritiker George W. Bush wird sich zum Auftakt am Mittwoch blicken lassen, obwohl der US-Präsident eigentlich mit Auftritten im hurrikangeplagten Süden seines Landes dringend den rapiden Verfall seiner Popularität jetzt auch bei seinen Landsleuten stoppen muss. Ob das Spektakel am Ende zu mehr führen wird als zu einer wachsweichen Abschlusserklärung, steht allerdings immer noch nicht fest. Zwar witterten einige US-Medien am Dienstag einen Durchbruch in den harten Verhandlungen um ein Abschlusspapier, doch hinter den Kulissen hieß es auch wenige Stunden vor dem Start, noch sei nichts entschieden.

„Was wir im Augenblick sagen können ist, dass wir ein Dokument haben werden, das das politisch Mögliche unter den 191 Mitgliedstaaten reflektiert“, sagte der deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger mit bedeutungsschwangerem Unterton – mit anderen Worten: Es läuft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus. „Es mag nicht die große Reform-Idee sein, die Kofi Annan vor zwei Jahren vorstellte, und es mag nicht mit Freuden von allen Staaten und der Presse aufgenommen werden, aber es wird ein wichtiger Schritt in Richtung einer grundlegenden UN-Reform sein“, sagte Pleuger weiter. Auch sein französischer Kollege Jean-Marc de la Sablière äußerte sich vorsichtig optimistisch: „Der Text ist kein optimaler Text, aber es gibt genügend Substanz, damit wir einen guten Gipfel haben“, sagte er der „New York Times“.

Das kommt allerdings auch entscheidend auf die Erwartungshaltung an. Seit der amerikanische UN-Botschafter John Bolton im August auf die Bühne platzte und mehr als 400 Änderungsvorschläge in dem 40-seitigen Reformpapier verlangte, öffnete er die Büchse der Pandora. Plötzlich fingen viele an, ihre Positionen nachzuverhandeln, der Schwung für eine große Reform erlosch. Mittlerweile hangeln sich die Diplomaten in Marathon-Sitzungen von Kompromiss zu Kompromiss, oft geht es dabei um kleinste Formulierungen. So soll jetzt zum Beispiel nicht mehr festgeschrieben werden, dass sich die Industriestaaten verpflichten, bis 2015 ihre Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. Stattdessen könnte es heißen: „Wir begrüßen die gestiegenen Ressourcen, die laut dem vereinbarten Zeitplan zur Verfügung stehen werden, wenn viele entwickelte Länder ihr Ziel erreichen …“

Eines der Probleme für die Diplomaten ist, dass zwei unterschiedliche Dinge gleichzeitig verhandelt werden. Zum einen soll der Gipfel die Struktur der UN ändern, damit sie effektiver und transparenter gemanagt werden können. Gleichzeitig wollen die Politiker die Ziele der Weltorganisation neu festlegen. Zu viel auf einmal, glaubt etwa der paktistanische UN-Botschafter Munir Akram: „Wenn die Dinge zusammenbrechen, dann weil das Nadelöhr zu klein war für den ganzen Verkehr.“ Außerdem sind die Interessen extrem unterschiedlich. So kann es sich Bush im Notfall als einziger Staatschef leisten, ohne Ergebnis vom Gipfel nach Hause zu kommen. Während seinen Kollegen in deren Heimatländern das Scheitern angelastet würde, sähen sie in Washington nur einen weiteren Beweis für ihre These, dass es sich bei den UN um einen unergiebigen Debattierklub handelt.

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