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Politik: Aus Mangel an Unabhängigkeit

Eine Prüfung der Auftragsvergabe des Instituts für Qualität im Gesundheitswesen offenbart Unzulänglichkeiten im System

Berlin - Es waren schwere Vorwürfe und das in einem äußerst sensiblen Metier. Der Vetternwirtschaft hatte man den Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Peter Sawicki, bezichtigt. Im Zwielicht stand also ausgerechnet jene Einrichtung, die als neutrale Instanz den Wert oder die Fragwürdigkeit von medizinischen Behandlungen und Medikamenten abzuschätzen hat – und dadurch maßgeblich mitentscheidet, welche von den Krankenkassen bezahlt werden.

Nach eingehender Prüfung sämtlicher Vergabeverfahren seit 2004 haben Wirtschaftsprüfer nun festgestellt: Es gab tatsächlich „formale Fehler“ bei der Auftragsvergabe. Von 71 Vergaben seien sechs „als kritisch bewertet“ worden, sagte IQWiG-Vorstandsmitglied Gernot Kiefer. Nicht den Richtlinien entsprochen hätten etwa drei Aufträge an Sawickis frühere Firma in Köln, bei der seine Ehefrau noch Miteigentümerin ist. Allerdings sahen die Prüfer weder persönliche Vorteilsnahme noch Begünstigungen. Es seien Gegenleistungen erbracht und keine anderen Auftragsnehmer benachteiligt worden. Sawicki sei zwar ermahnt worden, sagte Kiefer, das Vertrauensverhältnis zu ihm sei aber „weiterhin gegeben“.

Nach Tagesspiegel-Informationen hat das von Sawicki gegründete Deutsche Institut für evidenzbasierte Medizin (DIeM) nur einen IQWiG-Auftrag erhalten, der vom Stiftungsvorstand abgesegnet war. Allerdings landeten auch drei nicht genehmigte Unteraufträge bei Sawickis Ehefrau – über den Umweg der Universitäten Graz und Düsseldorf. Allen Beteiligten sei „klar gewesen, dass eine mögliche Zusammenarbeit mit DIeM besonderer Hygiene bedarf“, so Kiefer. Gleichzeitig räumte er ein, dass manche Unregelmäßigkeit „der Aufbauphase des Instituts geschuldet“ gewesen sein könnte. Künftig wolle man noch besser kontrollieren und dafür auch eine auf Vergaberecht spezialisierten Anwaltskanzlei einschalten.

Bei der Auftragsvergabe seien „Fehler gemacht“ worden, sagte Kiefers Vorstandskollege Andreas Köhler, im Hauptberuf Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Dahinter stecke jedoch auch ein Riesenproblem. „Das Gesetz verlangt die Auftragsvergabe an neutrale, unbefangene Gutachter. Finden Sie die mal!“ Faktisch gebe es im deutschsprachigen Raum „so gut wie keine unabhängige medizinische Forschung, fast alle Einrichtungen sind drittmittelfinanziert“. Was bedeutet: Die Pharmaindustrie hat ihre Finger auf der Forschung und nimmt – zumindest potenziell – auch Einfluss auf die Ergebnisse.

Unterm Strich blieben sechs bis acht Einrichtungen, die man mit neutralen Expertisen beauftragen könne, sagte Köhler. Es gebe Gutachter, die sich wegen des Drucks aus der Industrie nicht trauten, IQWiG-Aufträge anzunehmen. „So kann das nicht weitergehen.“ Man werde das Problem nun mit etablierten Forschungseinrichtungen besprechen. Auch müsse das Ministerium beim Aufbau von mehr anwendungsorientierter Forschung helfen. Zu überlegen sei zudem, ob man bei IQWiG-Aufträgen künftig nicht auch englischsprachige Gutachten zulasse, sagte Köhler. International habe man weit mehr Auswahl an unabhängigen Forschungseinrichtungen. Allerdings könnten die vom Gemeinsamen Bundesausschuss oft dringend benötigten Gutachten dadurch dann auch etwas länger als bisher auf sich warten lassen. Rainer Woratschka

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