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Vier Jahre Haft für Oskar Gröning.

© Tobias Schwarz/AFP

Auschwitz-Prozess: Vier Jahre Haft für früheren SS-Mann Oskar Gröning

Vier Jahre Haft - so lautet das Urteil gegen den 94-jährigen ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning im Auschwitz-Prozess in Lüneburg.

Schuldspruch für den früheren SS-Mann Oskar Gröning: Das Landgericht Lüneburg hat den 94-Jährigen am Mittwoch wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen in Auschwitz zu vier Jahren Haft verurteilt. Damit ging das Gericht über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinaus. Ob der gesundheitlich angeschlagene Gröning haftfähig ist, muss aber noch die Staatsanwaltschaft prüfen.

Gröning hatte im Prozess seine Beteiligung und moralische Mitschuld am Holocaust eingeräumt. Er hatte gestanden, Geld von Verschleppten gezählt und zur SS nach Berlin weitergeleitet zu haben. Dies brachte ihm später den Beinamen eines „Buchhalters von Auschwitz“ ein. Er sagte aus, zwei- bis dreimal vertretungsweise Dienst an der Rampe getan zu haben, um dort Gepäck zu bewachen. Dort wurden deportierte Juden zur Ermordung selektiert.

Die Staatsanwaltschaft hatte dreieinhalb Jahre Haft gefordert, von denen 22 Monate als verbüßt angesehen werden sollten, weil eine Verurteilung schon vor Jahrzehnten möglich gewesen wäre. Erste Ermittlungen hatte es 1977 gegeben. Anwälte der über 70 Nebenkläger hielten das von der Staatsanwaltschaft verlangte Strafmaß für zu gering. Die Verteidiger plädierten auf Freispruch, weil Gröning den Holocaust im strafrechtlichen Sinne nicht gefördert habe.

In dem knapp drei Monate dauernden Prozess, der auch auf großes Interesse im Ausland stieß, hatten etliche Holocaust-Überlebende in erschütternden Details ihre Verschleppung sowie den Massenmord in dem Vernichtungslager geschildert. Dabei kamen unter anderem die menschenverachtenden medizinischen Experimente von Lagerarzt Josef Mengele sowie das Vergasen und Verbrennen von Juden im Takt der eintreffenden Züge zur Sprache. Auch die Schrecken der nächsten Generation, die mit dem Schatten ihrer in den Konzentrationslagern ermordeten Familien aufwuchsen, wurden eindringlich geschildert.

In dem womöglich letzten Auschwitz-Prozess hatte Gröning eine Antwort auf die Frage zu geben versucht, was den Einzelnen zur Beteiligung an den Verbrechen hatte bringen können. Wegen der schlechten Gesundheit des 94-Jährigen stand der Prozess mehrmals auf der Kippe, mehrere Verhandlungstage fielen aus.

Anwälte der über 70 Nebenkläger hielten das von der Staatsanwaltschaft verlangte Strafmaß für zu gering. Mit dem Urteil waren sie aber einverstanden. „Es erfüllt uns mit Genugtuung, dass nunmehr auch die Täter Zeit ihres Lebens nicht vor einer Strafverfolgung sicher sein können“, hieß es am Mittwoch in einer Erklärung von Anwalt Thomas Walther. Erstmals habe sich in einem Prozess wegen NS-Verbrechen ein Angeklagter zu seiner Schuld bekannt und sich dafür entschuldigt. Walther vertritt mit einem Kollegen viele der über 70 Nebenkläger, zumeist Überlebende von Auschwitz.

Die Verteidiger hatten auf Freispruch plädiert, weil Gröning den Holocaust im strafrechtlichen Sinne nicht gefördert habe. Im Falle eines Schuldspruchs solle von einer Strafe abgesehen werden.

Gröning kam erst jetzt vor Gericht, weil die Justiz bis 2011 darauf bestand, dass KZ-Aufsehern eine direkte Beteiligung an den Morden nachgewiesen werden muss. Frühere Ermittlungen gegen Gröning waren daher 1985 eingestellt worden. Erst nachdem die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen ihre Beurteilung änderte, kamen die Ermittlungen und einige KZ-Aufseher wieder in Gang.

Außer dem am Mittwoch verurteilten Oskar Gröning sind zurzeit zwei weitere hochbetagte frühere SS-Männer wegen ihrer mutmaßlichen Verstrickung in die Auschwitz-Verbrechen bei deutschen Gerichten angeklagt. Das teilte die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat einen 93-Jährigen aus dem nordrhein-westfälischen Lage wegen Beihilfe zum Mord im Vernichtungslager Auschwitz angeklagt. Er soll von Januar 1943 bis Juni 1944 als Angehöriger der SS-Wachmannschaft an der Tötung von mindestens 170.000 Menschen beteiligt gewesen sein. Der Beschuldigte bestreitet dies, hat aber eingeräumt, im Lager Auschwitz I eingesetzt gewesen zu sein. Das Landgericht Detmold muss noch über die Eröffnung des Verfahrens entscheiden.

Vor dem Landgericht Neubrandenburg soll sich nach dem Willen der Staatsanwaltschaft Schwerin demnächst ein 94-jähriger Mann verantworten. Er soll als SS-Sanitäter im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau tätig gewesen sein, wie die Ermittlungsbehörde in ihrer Anklage schreibt. Ihm wird deshalb Beihilfe zum Mord in 3.681 Fällen vorgeworfen. Das Gericht lässt derzeit die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten überprüfen.

Darüber hinaus seien sieben Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Auschwitz-Aufseher noch nicht abgeschlossen, sagte der Ludwigsburger Staatsanwalt Thomas Will. 23 Verfahren seien wegen Todes der Beschuldigten oder Verhandlungsunfähigkeit eingestellt worden. Weitere Prozesse seien derzeit nicht abzusehen. „Dies kann sich jedoch relativ schnell ändern und ist schwer zu prognostizieren“, sagte Will.

Die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen hatte 2013 Vorermittlungsverfahren gegen insgesamt 30 ehemalige KZ-Aufseher abgeschlossen. Die Verfahren wurden an die zuständigen Staatsanwaltschaften in elf Bundesländern abgegeben. (dpa/epd)

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