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Politik: Ausgesperrt

Paris hat das Lager Sangatte geschlossen. Auch in einer Kirche dürfen die Flüchtlinge nicht bleiben

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Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy könnte sich mit seiner überraschenden Entscheidung, das seit Jahren berüchtigte Flüchtlingslager Sangatte für Neuankömmlinge zu schließen, den ersten Misserfolg seiner kurzen Karriere in der neuen konservativen Regierung einhandeln. Seit drei Tagen irren rund 500 Flüchtlinge durch die Straßen der nahe gelegenen Hafenstadt Calais. Ein Teil von ihnen campiert bei winterlichen Temperaturen auf Parkbänken der Stadt, 120 haben vorübergehend Unterkunft in der Kirche Saint-Pierre-Saint-Paul gefunden, auf Initiative des kommunistischen Bürgermeisters Jacky Hénin, dem die Situation nach drei Tagen allerdings unheimlich wird. Es gibt nur eine Toilette, keine Waschmöglichkeiten, keinen Strom.

Die Nerven liegen blank: Mehrere Flüchtlinge sind in einen Hungerstreik getreten und weigern sich, die alte Seemannskirche, die seit Jahren wegen Asbestverseuchung geschlossen ist, zu verlassen. Am Dienstagnachmittag stellte Hénin ein Ultimatum: Die Illegalen müssen das Gotteshaus innerhalb von 24 Stunden verlassen.

Das wenige Kilometer vom Eurotunnel nach Großbritannien gelegene Lager war drei Jahre lang für überwiegend aus Mittelasien stammende illegale Einwanderer sozusagen die letzte Station auf ihrem Weg ins „britische Paradies“. Dort hielten sich bis vor kurzem einfache Asylregelungen für illegale Einwanderer – Schwarzarbeit wurde geduldet, Papiere waren nicht obligatorisch, Kontrollen gab es kaum. Schnell hatte sich das weltweit herumgesprochen. Mit Hilfe von Schlepperbanden und zu Preisen von bis zu 10 000 Euro ließen sich vor allem irakische Kurden und Afghanen auf abenteuerlichen Reisen bis in die 800-Einwohner-Gemeinde Sangatte transportieren. Das ursprünglich für 700 Menschen ausgelegte Flüchtlingslager, eigentlich nur dafür gedacht, wohnungslose Immigranten von der Straße zu bringen, platzte bald aus allen Nähten. Heute leben dort über 1800 Menschen, unter teilweise katastrophalen Bedingungen. Jede Nacht versuchen sie, unter gefährlichsten Umständen das 35 Kilometer entfernte Großbritannien zu erreichen – auf den Dächern von Zügen, in Laderäumen von Lastwagen, am Rande der Gleise durch den Tunnel, gehetzt von Polizeihunden, verletzt von elektrischen Zäunen. Mehr als zehn Menschen sind in den vergangenen drei Jahren bei diesen Versuchen ums Leben gekommen.

Entsetzt sind jetzt vor allem die Politiker der Region, die der Pariser Regierung vorwerfen, völlig unüberlegt und übereilt gehandelt zu haben. „Wie kann Innenminister Sarkozy leichtfertig das Aufnahmezentrum in Sangatte schließen, ohne Lösungen für die täglich bis zu 300 Neuankömmlinge anzubieten?“, empörte sich der stellvertretende Bürgermeister des nahe Sangatte gelegenen Ortes Boulogne, Guy Lengagne. Ungehört blieben auch die zahlreiche Petitionen der Sangatter Einwohner, die keine Ruhe mehr in ihrem einst als Badeort bekannten Dorf fanden - ausbleibende Touristen, Einbrüche und Überfälle.

Frankreichs Innenminister Sarkozy, wegen seiner drakonischen Maßnahmen gegen Kriminalität seit seinem Amtsantritt im Juni als „Superpolizist“ tituliert, verteidigt seine harte Hand in Sangatte vor allem mit einem Argument: „Ich wollte ein Signal an die Welt senden, dass Frankreich Schluss macht mit der illegalen Einwanderung.“ Er will osteuropäische Immigranten zurückschicken, sofern ihnen in ihren Heimatländern keine Strafe droht. Und jene aus „politisch schwierigen Ländern“ will er in Asylverfahren bringen. Allerdings: Nur ein Prozent der mindestens 60 000 Sangatte-Ankömmlinge seit 1999 hat einen Asylantrag in Frankreich gestellt. Alle wollen nach Großbritannien.

Sabine Heimgärtner[Pari]

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