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Die Entscheidung, welche Gruppen von den Corona-Beschränkungen ausgenommen werden, liegt beim Auswärtigen Amt sowie dem Innenministerium.

© picture alliance / Markus Heine

Update

Ausnahme von Coronabeschränkungen nur für Spätaussiedler: Jüdische Zuwanderer dürfen derzeit nicht nach Deutschland

Wegen der Coronakrise bekommen jüdische Zuwanderer aus Russland kein Visum - Spätaussiedler dagegen schon. Für die Betroffenen hat das schwerwiegende Folgen.

Sie wollten in Deutschland ein neues Leben beginnen und hatten sich seit Monaten darauf vorbereitet. Juden aus Russland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion haben die Möglichkeit, nach Deutschland einzuwandern – dazu hat sich das Land aus historischen Gründen verpflichtet. Davon wollten auch in diesem Jahr wieder jüdische Bürger Gebrauch machen. Doch dann kam die Corona-Pandemie, Grenzen wurden geschlossen. Die deutsche Botschaft in Moskau stellte die Vergabe von Visa ein.

Mittlerweile wurden die Einschränkungen gelockert: Ausnahmen gelten für Fachkräfte, Schüler und Studenten und für den Familiennachzug. Auch Spätaussiedler, also Personen deutscher Abstammung, die in Staaten der ehemaligen Sowjetunion leben, dürfen wieder nach Deutschland einreisen – die jüdischen Zuwanderer jedoch nicht.

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Anders als die Spätaussiedler bekommen sie im deutschen Konsulat nicht einmal einen Termin zur Visavergabe. Für die jüdische Zuwanderung könne „keine Ausnahme vom Annahmestopp gewährt werden“, heißt es im Terminvergabesystem des Auswärtigen Amtes für die Vertretung in Moskau. Wer dennoch einen Termin buche, werde „bei Vorsprache im Konsulat abgewiesen und für die weitere Terminbuchung vorerst gesperrt“. Von Nachfragen sei abzusehen, die Ausnahmen für die Einreisebeschränkungen seien vom Auswärtigen Amt in Absprache mit dem Bundesinnenministerium festgelegt worden.

Keine Arbeit, keine Wohnung, kein Schulplatz mehr

Für die Betroffenen hat dies schwerwiegende Folgen, wie mehr als 30 in Russland sowie Belarus lebende jüdische Bürger in einem offenen Brief an die Bundesregierung schildern. Bereits Monate vor dem Beginn der Corona-Pandemie hatten sie eine Zusage für die Einwanderung nach Deutschland erhalten. Es fehlte nur noch die letzte Formalie, das Visum. Eine der Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums sei die Abmeldung des Wohnsitzes in Russland, berichten die Betroffenen. „Dem sind wir nachgekommen, doch ohne gemeldeten festen Wohnsitz ist es uns nicht möglich, eine Arbeit anzunehmen“, heißt es in dem Brief an die Bundesregierung, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Ihre bisherigen Arbeitsverträge hatten die meisten mit Blick auf die bevorstehende Auswanderung bereits gekündigt. Arbeitslosenunterstützung kommt für sie nicht infrage – weil der Hauptwohnsitz abgemeldet werden musste. Außerdem könnten die Familien keine reguläre kostenlose medizinische Hilfe mehr in Anspruch nehmen, denn diese sei Personen mit einem festen Wohnsitz vorbehalten, berichten die Betroffenen weiter. „Und unsere Kinder können nicht die Schule besuchen.“

Die jüdischen Zuwanderer dürfen nicht nach Deutschland, können aber in ihren bisherigen Alltag nicht zurück. Derweil gestattet die Bundesregierung für andere Gruppen ebenfalls Ausnahmen, zuletzt für unverheiratete Lebenspartner. „Somit werden wir als jüdische Zuwanderer mit Touristen gleichgestellt“, kritisieren die Betroffenen.

„Vor dem Hintergrund unserer Geschichte ist das ein Armutszeugnis“

Das Auswärtige Amt bestätigte die bisherige Praxis. „Die Einreise jüdischer Zuwanderinnen und Zuwanderer ist von den schrittweise erfolgenden Ausnahmen von den Einreisebeschränkungen im Zuge von Lockerungen bisher nicht umfasst“, schrieb Staatssekretärin Antje Leendertse in einer Antwort auf eine Frage der Grünen-Abgeordneten Filiz Polat. Deshalb würden für diesen Personenkreis derzeit keine Visa erteilt und auch keine Termine vergeben. Die Bundesregierung sei aber damit befasst, „die Einreisebeschränkungen für jüdische Zuwanderinnen und Zuwanderer baldmöglichst aufzuheben“.

Polat kritisiert, die Bundesregierung bleibe eine Antwort auf die Frage schuldig, warum die Ausnahmen nicht auch für jüdische Zuwanderinnen und Zuwanderer gelten. „Vor dem Hintergrund unserer Geschichte ist das ein Armutszeugnis“, sagte die Grünen-Abgeordnete dem Tagesspiegel. Auch der stellvertretende FDP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff betonte, das Auswärtige Amt und das Innenministerium hätten dieser Gruppe bei der Wiederaufnahme der Visavergabe „oberste Priorität“ einräumen müssen. „Mit Blick auf unsere historische Verantwortung muss es eine gleichberechtigte Visavergabe an Spätaussiedler aus Russland und jüdische Zuwanderer geben“, sagte Lambsdorff dem Tagesspiegel. „Die aktuelle Diskriminierung muss sofort beendet werden.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat die Bundesregierung bereits schriftlich gebeten, „den Sachverhalt zu prüfen, um diesen unerträglichen Zustand so schnell wie möglich zu beenden“, wie er dem Tagesspiegel sagte. „Die Betroffenen sollten rasch die Möglichkeit erhalten, nach Deutschland einzureisen.“

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