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Pakistan

© dpa

Ausschreitungen: Pakistan in Bewegung

Der Machtkampf in Pakistan nimmt zu, bei Protesten kam es am Sonntag zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Wie gefährlich ist die Lage im Nachbarland Afghanistans?

Ein Sternmarsch der Opposition auf die Hauptstadt Islamabad droht Pakistan weiter ins Chaos zu stürzen. Hunderte Gegner von Präsident Ali Zardari lieferten sich am Sonntag in Lahore Straßenschlachten mit Polizei und Sicherheitskräften. Tausende jubelten dagegen am Wegesrand dem Oppositionsführer Nawaz Sharif zu, der trotz eines angeblichen Hausarrests auf die Straße stürmte, um den „Langen Marsch“ anzuführen. „Niemand kann uns stoppen“, versicherte Sharif seinen Anhängern. Selbst erste Polizeioffiziere haben gekündigt, um sich dem Marsch anzuschließen. Damit wird der Aufstand gegen Pakistans Präsident Zardari zur Revolte. Doch Zardari schlug zurück: Demonstrierende Anwälte in schwarzen Anzügen und Bürgerrechtler wurden am Sonntag mit Schlagstöcken niederknüppelt und mit Tränengas beschossen.

Pakistan brennt. Und die Angst wächst, dass der Atomstaat am Rande eines Bürgerkriegs steht. „Die Krise in Pakistan droht, außer Kontrolle zu geraten“, titelten indische TV-Sender. Der Marsch soll am Montag in Massenproteste in Islamabad münden. Die zentrale Forderung der Opposition ist, dass Zardari den unabhängigen Chefrichter Iftikhar Chaudry wiedereinsetzt, den der frühere Militärherrscher Pervez Musharraf Ende 2007 geschasst hatte.

Mit aller Gewalt will Zardari offenbar verhindern, dass sich die Demonstranten in die Hauptstadt durchschlagen. Das Land gleicht einem Polizeistaat. Massenhaft ließ der Präsident Regierungsgegner verhaften, Anwälte und Oppositionspolitiker werden wie Staatsfeinde gejagt. Polizisten durchkämmen Haus für Haus, um Aktivisten festzunehmen. Sicherheitskräfte in Kampfuniform kontrollieren die Städte. Autobahnen wurden mit Schiffscontainern blockiert und Tankstellen dicht gemacht. Der kritische Sender Geo TV wurde ausgeschaltet, die Armee ist in Alarmbereitschaft.

Hochbesorgt kamen Regierungschef Yousuf Raza Gilani und Armeechef Ashfaq Parvez am Sonntag zu einem Krisentreffen zusammen. Vergeblich hatten sie versucht, Zardari zu überzeugen, dass er einlenkt. Gerüchte über einen Sturz Zardaris oder sogar einen möglichen Militärcoup machten die Runde.

Nur ein Jahr nach den Wahlen, die acht Jahre Militärherrschaft beendeten, tritt der Witwer von Benazir Bhutto die Demokratie mit Füßen. Vieles erinnert an den Ausnahmezustand, den der frühere Militärherrscher Pervez Musharraf im November 2007 verhängt hatte. Nur dass es unter Musharraf deutlich ziviler zuging als dieser Tage. Und die Wut gegen Zardari schwillt an: Medien, Volk und auch Teile von Zardaris eigener Partei, der PPP scharen sich hinter den Protestierenden. Selbst Zardaris Presseministerin Sherry Rehmann hatte genug – sie reichte empört ihren Rücktritt ein.

Im Westen wird der Konflikt gerne auf den Machtkampf zwischen Zardari und Sharif verkürzt. Doch in Wahrheit geht es um die Fundamente von Pakistans Demokratie, konkret um die Forderung nach einer unabhängigen Justiz. „Wir haben keine Demokratie“, sagt Asma Jehangir von Pakistans Menschenrechtskommission. Die namenlosen Helden dieses Kampfes sind die Anwälte. Seit anderthalb Jahren demonstrieren sie Woche für Woche dafür, dass das südasiatische Land eine unabhängige Justiz erhält

Verkörpert wird dies in der Person des unbeugsamen Chefrichters Chaudhry. Man muss Chaudhry nicht mögen. Er ist ein rechthaberischer Mann, der anderen gerne über den Mund fährt. Doch er hat gewagt, was vor ihm kein Richter wagte: Er hat nicht nur Musharraf und dem Militär getrotzt, er hat sich auch mit der Supermacht USA angelegt, die in Pakistan so manches dunkles Geheimnis hat.

Chaudhry gab dem Volk, den Armen, Rechtlosen und Verschwundenen, eine Stimme. Hartnäckig fragte er das Militär nach hunderten Vermissten, die im Zusammenhang mit dem Anti-Terror- Kampf verschwunden sind. Dabei sollen nicht nur pakistanische, sondern auch amerikanische Geheimdienste ihre Finger im Spiel gehabt haben. Für diesen Mut lieben ihn die Menschen, die gewöhnt sind, dass die meisten Richter bloß willige Büttel der jeweiligen Regierung sind und lediglich Gefälligkeitsurteile liefern.

Die Krise hat inzwischen auch die USA alarmiert. Seit Tagen mühen sich US-Unterhändler, zwischen Zardari und Sharif zu vermitteln. Den neuen US-Präsidenten Barack Obama holen nun die Sünden seines Vorgängers George W. Bush ein. Der hatte nach der Ermordung von Benazir Bhutto mit ihrem Witwer Zardari paktiert, obgleich dessen Leumund derart übel ist, dass viele Pakistanis ihm nicht mal ihre Autoschlüssel anvertrauen würden, geschweige denn einen von Terror gebeutelten Atomstaat. Ohne die Hilfe der USA hätte es Zardari nie auf den mächtigen Präsidentenposten geschafft.

Bush deckte auch stillschweigend, dass Zardari die von den Anwälten geführte Demokratiebewegung gegen Musharraf verriet. Der Bhutto-Witwer brach sein Wahlversprechen, Chaudhry wieder ins Amt zu heben, weil auch er Anklagen fürchten muss. Und die USA rührten keinen Finger für den Chefrichter, der über Monate in sein Haus eingesperrt wurde. Das rächt sich nun. Anwälte und Bürgerrechtler wollen nicht eher ruhen, bis Chaudhry zurückkehrt. Und bis Pakistan endlich eine Chance auf echte Demokratie erhält.

Christine Möllhoff

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