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Politik: Außenminister Fischer setzt gegenüber den UN andere Akzente als sein Amtsvorgänger

Nicht einmal über den Betrag ist man sich einig: Nach amerikanischer Rechnung schuldet Washington den Vereinten Nationen rund eine Milliarde Dollar. Die Weltorganisation hat dagegen errechnet, dass die einzige wirkliche Weltmacht mit 1,7 Milliarden an Beitragsschulden bei ihr in der Kreide steht.

Nicht einmal über den Betrag ist man sich einig: Nach amerikanischer Rechnung schuldet Washington den Vereinten Nationen rund eine Milliarde Dollar. Die Weltorganisation hat dagegen errechnet, dass die einzige wirkliche Weltmacht mit 1,7 Milliarden an Beitragsschulden bei ihr in der Kreide steht. Bei den Haushaltsberatungen im US-Kongress bleibt die Frage weiter umstritten, ob die über lange Zeit angehäuften Schulden endlich bezahlt werden. Für eine Mehrheit der Parlamentarier im Repräsentantenhaus sind die Vereinten Nationen ein nichtsnutziger, verschwenderischer Verein - keinen Dollar wert, solange sie sich nicht nach amerikanischen Vorstellungen reformiert haben.

In den letzten Jahren hat Präsident Bill Clinton immer gerade so viel an Schulden getilgt, dass die USA nicht ihr Stimmrecht in der Vollversammlung verloren haben. Wenn dies "Weltparlament" der 185 Staaten in diesen Tagen zu seiner 54. Vollversammlung zusammentritt, gehört die Beitragsverweigerung des wichtigsten Mitglieds zu den Dauerbrennern - für die eine Lösung abermals nicht zu erwarten ist.

Das Gleiche gilt für die Reform des Weltsicherheitsrates, des wichtigsten Organs der UN. Seit Jahren ist man sich einig, dass es die neue Weltordnung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr widerspiegelt - die fünf offiziellen Atommächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich als ständige Mitglieder mit Vetorecht gegen Beschlüsse, die ihnen nicht passen; dazu eine Anzahl wechselnder "nichtständiger" Mitglieder. Zum Konsens zählt weiter, dass die "Wirtschaftsweltmächte" Deutschland und Japan zu den ständigen Mitgliedern zählen sollten, dazu Vertreter Asiens, Afrikas und Lateinamerikas.

Da jedoch endet die Gemeinsamkeit - alle Reformversuche sind in den letzten Jahren gescheitert. Ein Erfolg ist auch in diesem Jahr nicht abzusehen. Deshalb hat Außenminister Joschka Fischer, der heute vor derUN-Vollversammlung sprechen wird, eine sanfte Wende eingeleitet. Seinem Vorgänger Klaus Kinkel war es, obgleich selbst vom Bundeskanzler Helmut Kohl spöttisch belächelt, ein Herzensanliegen, ständig mit am Tisch der Großen zu sitzen. Fischer will weiter eine aktive, vielleicht sogar noch aktivere UN-Politik betreiben. Aber der Sicherheitsrats-Sitz hat für ihn keine Priorität. Er weiß: Wenn es eine Reform gibt, sind Deutschland und Japan "geborene" Kandidaten. Der Grüne macht sich auch, anders als viele seiner Parteifreunde, keine Illusionen über die Möglichkeiten der Weltorganisation. Das Gewicht der Deutschen in der Europäischen Union, so seine Grundeinstellung, ist ungleich größer - damit auch ihre Gestaltungsmöglichkeiten.

Die UN werden jedoch nicht nur von finanziellen und organisatorischen Sorgen geplagt. Sie suchen über ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung immer noch nach einem gemeinsamen Selbstverständnis. Das wurde gleich zum Auftakt der 54. Sitzungs-periode deutlich, als Generalsekretär Kofi Annan die Priorität der Menschenrechte vor staatlicher Souveränität betonte und der algerische Präsident Abdelasis Bouteflika die Auffassung vertrat, Interventionen der Weltgemeinschaft dürfe es nur mit dem Einverständnis der betroffenen Staaten geben. Dieser Streit lähmte die Handlungsfähigkeit der UN in aktuellen Konflikten der letzten Jahre von Ruanda über den Balkan bis zu den aktuellen Auseinandersetzungen in Ost-Timor. Auch hier konnte eine Friedenstruppe erst nach Zustimmung Indonesiens eingreifen. Dass es trotzdem vergleichsweise schnell ging, wird von Optimisten am New Yorker East River, wo die Weltorganisation ihren Sitz hat, als kleines Zeichen für deren Lernfähigkeit gesehen.

Thomas Kröter

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