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Lieblingsfeinde der deutschen Doppelmoral: US-Präsident Donald Trump und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

© Saul Loeb/AFP

Außenpolitik: Trump, Erdogan und die deutsche Doppelmoral

Türkische Wahlempfehlungen, Hitler-Vergleiche, Atomkonflikt um Nordkorea: Die außenpolitischen Debatten Deutschlands zielen auf Emotion statt Vernunft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wie war das damals im April, als in der Türkei das Verfassungsreferendum anstand? Deutsche Politiker lehnten den Versuch des Präsidenten Recep Erdogan, sich diktatorische Vollmachten zu verschaffen, selbstverständlich ab. Sie sagten es auch laut. Einige empfahlen den Bürgern der Türkei offen, mit Nein zu stimmen, ganz voran der Parteivorsitzende der Grünen, Cem Özdemir – und ernteten Beifall der meisten Medien.

Einmischung in der Türkei geht - umgekehrt nicht

Jetzt aber, da Erdogan es wagt, Wahlempfehlungen für die Bundestagswahl abzugeben, bricht ein Sturm der Entrüstung los. So was geht doch gar nicht!

Ein klarer Fall von Doppelmoral: Einmischung ist angeblich okay, wenn es aus Sicht der Wortführer um eine gute Sache geht – und verwerflich, wenn sie das Ziel für schlecht halten. Dann wäre es aber keine Frage des Prinzips und allgemeingültiger Regeln mehr, sondern eine der subjektiven Sympathie oder Antipathie.

Leider ist dies ein Muster in Deutschlands außenpolitischen Debatten, zumal im Wahlkampf. Die Redner appellieren an Emotionen, statt über die komplexen Zusammenhänge aufzuklären. Es geht um moralische Anklagen statt um realpolitische Vernunft.

Trump als Hitler? Ja! Merkel in Nazi-Uniform? Nein!

Auch in den Medien. Der „Stern“ zeigt Donald Trump in „Sieg Heil“-Pose als Wiedergänger Hitlers. Man hätte gehofft, Hitler-Vergleiche gehen gar nicht mehr. Darauf würden doch auch der „Stern“ und seine Fans anklagend beharren, wenn ein polnisches Magazin es erneut wagen sollte, Kanzlerin Merkel in Nazi-Klamotten abzubilden.

Die Versuchung, antiamerikanische Ressentiments abzurufen, war freilich schon immer groß, wenn es mit den Zustimmungsraten oder den Verkaufszahlen nicht gut lief – sowohl auf der Linken als auch bei den Rechtsnationalen.

Sigmar Gabriel tut so, als sei Trump gefährlicher als Kim Jong Un

Außenminister Sigmar Gabriel lässt neuerdings im Unklaren, ob er Donald Trump oder den Nordkoreaner Kim Jong Un für den schlimmeren Kriegstreiber hält. Seine Kritik an Trump fällt jedenfalls wortreicher aus.

Immerhin zeigte er sich am Dienstag nach einem erneuten Raketentest Nordkoreas "bestürzt, in welch brachialer Weise" das Land Resolutionen des UN-Sicherheitsrates verletze. Für nüchterne Analytiker dürfte offenkundig sein, von wem die größere Gefahr ausgeht und wer die jüngste Krise ausgelöst hat. Die völkerrechtswidrigen Atom- und Raketentests der Kim-Diktatur sind älter als Trumps Präsidentschaft. Die aktuelle Eskalation begann mit nordkoreanischen Raketenstarts. Trump reagiert nur darauf. Seine Antworten mag man bedenklich finden. Das Hauptproblem ist aber Kim, nicht Trump. Das nächstgrößte ist China, weil es zu wenig tut, um Pjöngjang einzuhegen. Es könnte mehr Druck ausüben. Ökonomisch ist Nordkorea völlig abhängig von Peking.

Martin Schulz zwischen Staatsraison und Anfängerfehler

Immerhin denkt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hier an die Staatsraison und lehnt es ab, den Umgang mit Nordkorea zum Streitthema im Wahlkampf gegen Merkel zu machen. Er läuft freilich Gefahr, sich in einer anderen Atomwaffenfrage in eine Sackgasse zu manövrieren. Schulz verspricht den einseitigen Abzug der taktischen Atomwaffen der USA aus Deutschland. Wiederholt er diesen Anfängerfehler, der schon Joschka Fischer und Guido Westerwelle im Wahlkampf unterlaufen war, ehe sie Außenminister wurden, aus Unwissenheit? Oder versucht auch er in seiner Verzweiflung, mit Moral und verdecktem Antiamerikanismus zu punkten?

Ein atomwaffenfreies Mitteleuropa wäre wunderbar. Nur bitte nicht als einseitige Vorleistung, sondern als Ergebnis eines verifizierbaren Abrüstungsvertrags mit Russland. Moskau hat eine weit größere Zahl atomarer Gefechtsfeldwaffen in Kaliningrad an der Grenze zum Nato-Gebiet gelagert.

Rechte Maulhelden von AfD bis Seehofer

Populismus und Doppelmoral in der Außenpolitik sind gewiss kein Privileg der Linken. AfD und Linke nehmen sich wenig, wenn es um die Ablehnung von Freihandel und liberaler Wirtschaftsordnung, bewunderndem Verständnis für Wladimir Putin, Israel-Bashing und USA-Verachtung geht. Auch Horst Seehofer (CSU) irrlichtert bisweilen. Gerade wetteifert er mit Gabriel, wer von beiden rhetorisch härter mit der Türkei umspringt. Seehofer will alle Zahlungen streichen.

Maulheldentum ist aber noch keine Außenpolitik. Ziel muss die richtige Mischung sein: Festigkeit bei Grundwerten und Rechtsstaatprinzipien; begrenzte Kooperation in Feldern gemeinsamen Interesses wie der Kontrolle der Massenmigration; Bewahren von Gesprächskanälen sein. Ein Minimum an Dialog ist unverzichtbar für Politik und Diplomatie.

Eine Doppelmoral, die zu Beifall für Einmischung in der Türkei aber Abscheu und Empörung bei türkischer Einmischung in Deutschland führt, ist das Gegenteil von Prinzipienfestigkeit. Sie wirkt prinzipienlos.

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