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Überfällige Diplomatie. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei einer Pressekonferenz mit dem Praesidenten der Republik Serbien, Aleksandar Vucic.

© IMAGO/photothek

Baerbocks diplomatische Präventionsarbeit: Die blanke Angst vor einem neuen Balkankrieg

Auf dem Balkan brechen sich neue Konflikte Bahn, angeheizt vom politischen Anführer der bosnischen Serben. Deshalb eilte der Besuch der Außenministerin. Eine Analyse.

Von Caroline Fetscher

Am allerwenigsten kann Europa jetzt einen neuen Balkankrieg gebrauchen. Doch just davor wird gewarnt. Spätestens seit Oktober 2021 regt sich in der Republik der bosnischen Serben der offene Wunsch nach Abspaltung von Bosnien und Herzegowina. Angeheizt wird er vom politischen Anführer der bosnischen Serben, Milorad Dodik.

Dieser sieht sich vom russischen Bruder Präsident Putin ebenso unterstützt wie von Teilen der politischen Elite im Nachbarland Serbien. Separatistische Trommeln werden gerührt, von blanker Kriegsangst war schon die Rede, muslimische Menschen, hieß es, säßen auf gepackten Koffern.

Reaktionen aus Brüssel oder Berlin gab es darauf bisher allerdings kaum, der westliche Balkan wurde vom Westen vernachlässigt. Höchste Zeit für diplomatische Präventionsarbeit, höchste Zeit für eine hochrangige Reise, wie Außenministerin Annalena Baerbock sie eben absolviert hat. Während in Versailles über die Ukraine diskutiert wurde, warb Baerbock in Sarajevo, im Kosovo und in Belgrad vehement für „Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand“. Wer diese Werte teile, der könne sich nun „nicht wegducken“.

Jedes dieser Reiseziele war und ist assoziiert mit politischen Spannungen. Überall dort wächst indes auch der Wille, unter die Fittiche der Europäischen Union zu gelangen. In Serbien, das seit 2014 um Beitritt verhandelt, heißt die halbheimliche Formel: EU ja, Nato nein. Brüsseler Gelder – gern, Nähe zu Moskau – sehr gern. Bitter wird die Nato-Intervention von 1999 zum Schutz der albanischsprachigen Bevölkerung des Kosovo erinnert, das damals noch serbische Provinz war.

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Der große Bruder hatte den Einsatz missbilligt: Russland erkennt, wie Serbien, die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Und investiert in Serbiens Ökonomie.

Der Verlust des Kosovo verursacht Serbiens Nationalisten Phantomschmerzen, ihnen wäre es recht, wenn sich der kleine Bruder Serbenrepublik abspalten und zu Serbien gesellen würde. Noch schwelt die Fantasie eines „Großserbien“ weiter, vergleichbar Putins Drang zu „Großrussland“ samt Ukraine. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic findet sich in der Zwickmühle, solange er allen gefallen will, Ost wie West im Ausland, älteren Hardlinern wie jüngeren Reformern im Inland.

Auf der Sondersitzung der UN-Generalversammlung in New York stimmte Serbien Anfang März überraschend dafür, den russischen Angriff auf die Ukraine zu verurteilen. EU-Sanktionen will Vucic jedoch nicht mittragen. In Belgrad beteuerte Vucic am Freitag, Deutschland sei wirtschaftlich der „wichtigste Partner“, auch könne er dessen „Positionen sehr gut nachvollziehen“. Nachvollziehen, das hört sich nach Vorsicht an. Baerbock hatte bereits ehe sie abreiste, verkündet, „dass wir diese Region im Herzen Europas nicht dem Einfluss Moskaus überlassen“.

Geschickt differenzierte sie in Belgrad zwischen Verständnis für die kulturelle Nähe zu Russland und der Forderung nach Distanz zur aggressiven Kremlpolitik. Beherzt lockte sie mit Investitionen, Arbeitsplätzen Perspektiven, und signalisierte Respekt für die „besondere Größe“ dessen, der „seinen Kurs um 180 Grad dreht“, wie Serbien mit seinem UN-Votum.

Gewaltsame Grenzverschiebung

Endlich wurde nun aber auch mit Blick auf Dodiks Aspirationen glasklar kommuniziert, dass nirgends in Europa Grenzen mit Gewalt verschoben werden dürfen, dass von Serbien, so wörtlich, „Widerstand“ verlangt wird „gegen inakzeptable Aktivitäten in Bosnien-Herzegowina“. Unverzichtbar ist auch Baerbocks Forderung, dass Serbien nach den Wahlen am 3. April den Dialog mit Kosovo suchen muss. Als Lohn winkt die EU-Vollmitgliedschaft.

Bis dahin muss sich viel bewegen. Sehr viel. Bei Wladimir Putins Besuch in Belgrad 2019 wurde der christlich-orthodoxe Verwandte als großer Gast bejubelt. Sinnbild für die Freundschaft ist ein Wandgemälde in Belgrad, ein mannshohes Portrait von Putin, hinter dem die serbische Trikolore doppelt auftaucht, einmal breit, einmal schmal repräsentieren sie Serbien sowie die bosnische Serbenrepublik. Dazu prangt in kyrillischer Schönschrift das Wort „brat“, Bruder.

In solchen populären Tableaux glimmt die toxische Idee der Verschmelzung beider Territorien weiter. Zwar hat jemand dem Wandgemälde das hastig hingesprühte Wort „ubica“ hinzugefügt: „Mörder“. Doch Protest gegen die traditionelle Russlandbegeisterung ist nicht die Regel, erst recht nicht in Bosniens Serbenrepublik, der Republika Srpska.

Ihre Volatilität zeugt davon, dass Bosnien und Herzegowina ohne tiefgreifende Verfassungsreformen nicht stabilisiert werden kann. Durch das Abkommen von Dayton, das 1995 die jugoslawischen Zerfallskriege beendete, war der Staat wie aus geklebten Scherben entstanden. Ein größerer Teil ist die kroatisch-bosniakische Föderation, ein kleinerer die Republika Srpska. Regiert wird das nach wie vor ethnisierte Land von einem bosniakisch-kroatisch-serbischen Trio im Staatspräsidium, sowie von drei schlecht kooperierenden Kabinetten.

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Seit 1995 wacht das Amt des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft (OHR) in Sarajevo darüber, dass „Dayton“ eingehalten wird. Jährlich wird das Mandat der EU-Militärmission EUFOR verlängert. Die Zustimmung dazu ließ sich Russland in der UNO durch teilweisen Machtverzicht des OHR bezahlen.

Milorad Dodik will eine eigene Armee, eine eigene Polizei. Es ist kein Jahr her, da leugnete er den Genozid von Srebrenica, das in seiner Serbenrepublik liegt, dem Territorium, das im Bosnienkrieg von seiner muslimischen Bevölkerung „gesäubert“ werden sollte. Zwei der früheren Hohen Repräsentanten, Christian Schwarz-Schilling und Valentin Inzko, warnten die EU wie die Nato Anfang März vor einer Ausweitung des Ukraine-Krieges auf die Region Westbalkan.

Eine zweite, eine russisch unterstützte balkanische Front scheint angesichts der Lage russischen Militärs in der Ukraine im Augenblick eher unwahrscheinlich. Auszuschließen ist jedoch nicht, dass die volatile Stimmung in der Republika Srpska für Ablenkungsmanöver instrumentalisiert werden könnte. Daher ist die Forderung so dringend wie sinnvoll, die EUFOR-Präsenz in Bosnien und Herzegowina zumindest vorübergehend aufzustocken.

Zurecht betont die Außenministerin, dass Investitionen auf dem Weg in die Europäische Union zentral an das Einhalten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geknüpft sind, sowie an die Achtung vor internationalen Abkommen und Verträgen. Doch parallel müssen die Defizite von Dayton stärker ins Licht rücken. In Bosnien befindet sich eine der größten Baustellen des Friedens in Europa.

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