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Mitglieder der Gewerkschaft CGT protestieren in Marseille gegen die Bahnreform.

© Bertrand Langlois/AFP

Bahnstreik in Frankreich: Das letzte Gefecht einer stolzen Gewerkschaft

Die radikale französische Gewerkschaft CGT versucht, mit dem Bahnstreik Muskeln zu zeigen. Allerdings sind die Gewerkschaften in Frankreich schwächer, als es scheint. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Mehr als vier Millionen Kunden zählt das staatliche französische Bahnunternehmen SNCF pro Tag. Sie wurden am Dienstag und Mittwoch von einem Streik heimgesucht, der im Nachbarland langfristig einen milliardenschweren wirtschaftlichen Schaden anrichten könnte. Mit der Kraftprobe zwischen den Gewerkschaften und Präsident Emmanuel Macron, die am kommenden Sonntag in die nächste Runde geht, entscheidet sich auch die Frage: Teilen die Franzosen den Reformeifer ihres Präsidenten?

Auf den ersten Blick hat man angesichts der Bilder von überfüllten Pariser Vorortzügen, Staus auf den Zubringerstraßen und frustrierten Berufspendlern ein Déjà-vu-Erlebnis: Frankreich streikt – na und? So kennt man eben die Franzosen, eine der streikfreudigsten Nationen in Europa. Der Unterschied besteht aber diesmal darin, dass die Arbeitsniederlegung der Lokführer in Frankreich gewissermaßen das letzte Gefecht einer vormals stolzen Gewerkschaft sein könnte: der linksgerichteten CGT, deren politischer Kompass früher einmal die Kommunistische Partei war.

Gewerkschaft CGT hat im Privatsektor ihre führende Rolle verloren

Im Privatsektor hat die CGT ihre Rolle als führende Gewerkschaft im vergangenen Jahr an die gemäßigte CFDT abgegeben, die den Sozialisten nahesteht. Frankreichs Staatsbahn ist hingegen eine der letzten Bastionen der CGT geblieben. Macrons Plan, die Bahn zu reformieren, bietet der Gewerkschaft nun einen willkommenen Anlass, den Staatschef vorzuführen.

Ob das gelingt, darf allerdings bezweifelt werden. Denn eine knappe Mehrheit der Franzosen befürwortet das Vorhaben, die Staatsbahn SNCF wettbewerbstauglich zu machen und den beamtenähnlichen Status der Eisenbahner bei Neueinstellungen zu beenden.

Es ist durchaus nachvollziehbar, dass Macron die SNCF umbauen will. Anderenfalls hätte die Staatsbahn kaum Chancen, sich im europäischen Wettbewerb unter den Anbietern, der 2020 beginnt, zu behaupten. Die von der CGT an die Wand gemalte Schreckensvision abgehängter Regionen, in denen künftig unrentable Strecken eingestellt werden, ist schon deshalb nicht zutreffend, weil die Marktöffnung nach den Plänen der Regierung wesentlich behutsamer vorangetrieben werden soll als ursprünglich geplant.

Nur acht Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert

Dass die Gewerkschaft CGT und ihr Vorsitzender Philippe Martinez den französischen Präsidenten auffordern, angesichts einer „sehr großen Unzufriedenheit“ in der Bevölkerung „die Ohren aufzusperren“, gehört dabei zur Streik-Folklore. Martinez’ mediale Präsenz sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gewerkschaften in Frankreich schon seit vielen Jahren oberhalb ihrer Gewichtsklasse boxen. Nur rund acht Prozent der Beschäftigten im Nachbarland sind gewerkschaftlich organisiert – etwa halb so viele wie in Deutschland.

Unter diesem Vorzeichen findet die eigentliche Schlacht um Macrons Bahnreform auch nur in zweiter Linie am Verhandlungstisch statt. Am Ende wird entscheidend sein, ob sich der Frust der Bevölkerung im Verlauf des möglicherweise wochenlangen Streiks gegen Macron wendet – oder gegen die CGT, welche auf Eisenbahner-Privilegien beharrt, die nicht mehr in die Zeit passen.

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