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Politik: Bahr lehnt Meldepflicht für Nebengeschäfte von Ärzten ab

Ministerium verlässt sich bei der Bewertung der individuellen Gesundheitsleistungen auf Schätzung.

Berlin - Aus der Sicht des Gesundheitsministeriums sind die Nebengeschäfte von Kassenmedizinern kein Problem. Die vertragsärztliche Tätigkeit werde durch sogenannte individuelle Gesundheitsleistungen (Igel) nicht beeinträchtigt, teilte Staatssekretärin Annette Widmann- Mauz (CDU) dem Bundestag mit. Einer gesonderten Protokoll- oder Meldepflicht von Privatbehandlungen bedürfe es folglich nicht. Und eine eigenständige Preisregulierung sei auch „nicht notwendig“.

Die Grünen bezichtigten das Ministerium, vor der Igel-Problematik „trotz des sichtbaren Trends zur Kommerzialisierung der Arzt-Patient-Beziehung“ die Augen zu verschließen. „Die Bundesregierung verharmlost die Entwicklung der Selbstzahlerleistungen und verweigert sich einem konsequenten Patientenschutz“, sagte deren gesundheitspolitische Sprecherin Biggi Binder.

Tatsächlich hat das Ministerium offenbar keinen aktuellen Überblick über Zahl und Kosten privat gezahlter Arztleistungen – es muss sich auf eine Schätzung von 2010 beziehen. Damals bezifferte das wissenschaftliche Institut der AOK den Jahresumsatz mit Igel-Angeboten auf 1,5 Milliarden Euro. In diesem Fall handle es sich um 4,5 Prozent der Gesamtausgaben für vertragsärztliche Versorgung, rechnete Widmann-Mauz vor. Von einer Beeinträchtigung könne „daher zumindest derzeit nicht ausgegangen werden“.

Versicherer, Verbraucherschützer und sogar Ärztefunktionäre warnen seit langem vor der Flut an Igel-Angeboten. Anders als normale Kassenleistungen seien diese „an keinen Qualitätsnachweis“ gebunden, betont Peter Pick vom Medizinischen Dienst der Kassen. Zwar unternehmen sie dort seit einem halben Jahr den Versuch, die Selbstzahlerleistungen selber zu bewerten (www. igel-monitor.de). Wie viele es davon inzwischen gibt, ist aber auch den Prüfern nicht bekannt. „Auf jeden Fall mehrere hundert“, sagen sie.

Trotz der negativen Testbefunde – einen Appell zur Vorsicht oder gar eine Warnung will das Ministerium nicht aussprechen. Man äußere sich „nicht wertend“, beharrt Widmann-Mauz. Dies sei „Aufgabe der wissenschaftlichen Fachwelt“. Und es liege „ am Patienten selbst, als mündigem Vertragspartner entsprechende Angebote genau zu prüfen“. Die Regierung rede von der Mündigkeit des Patienten, tue aber nichts, damit er dieser Rolle gerecht werden könne, moniert Bender.

Immerhin: Die Pflicht zu umfassender Aufklärung und Kostenvoranschlag hat das Ministerium noch ins geplante Patientenrechtegesetz aufgenommen. Nach Informationen der Grünen werden 50 bis 80 Prozent der Igel-Leistungen ohne schriftliche Vereinbarung und 10 bis 20 Prozent ohne Rechnung erbracht. Dass das nicht spurlos am Arzt-Patienten-Verhältnis vorbeigeht, belegt eine Umfrage von Bertelsmann-Stiftung und BarmerGEK. Demnach büßten die Ärzte im Ranking der vertrauenswürdigsten Berufe ihren bisherigen Spitzenplatz ein und rangieren nur noch auf Rang fünf – hinter Feuerwehrleuten, Hebammen, Krankenschwestern und Piloten. Als mögliche Gründe nennt die Studie die erlebte Zwei-Klassen-Medizin – und das Geschäft der Ärzte mit Igel-Angeboten. Rainer Woratschka

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