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Balkan-Experte Dusan Reljic: "Die Regierung hat das Vertrauen verspielt“

Der Experte Dusan Reljic rechnet mit Neuwahlen in Griechenland.

Herr Reljic, was ist los in Griechenland?



Wir beobachten dort einen Aufstand von großen Teilen der Gesellschaft, die unzufrieden sind mit der sozioökonomischen Entwicklung der letzten Jahre. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union ist Griechenland zwar moderner geworden, die Wirtschaft ist gewachsen. Aber für viele junge Menschen stellt sich dennoch die Frage, ob sie je den Lebensstandard ihrer Eltern erreichen werden. Wer im öffent lichen Dienst arbeitet, verdient in Griechenland nur sehr wenig – ein Universitätsdozent bekommt etwa 1600 Euro im Monat – muss aber dennoch Preise von europäischem Standard zahlen.

Die Demonstrationen richten sich gezielt gegen den Staat?

Die staatlichen Investitionen in das Bildungssystem und andere Bereiche, für die der Staat verantwortlich ist, entsprechen offenbar nicht den Erfordernissen und Erwartungen. Anscheinend hat die Regierung das Vertrauen der jungen Generation verspielt. Dies sind allerdings nicht nur spezifisch griechische Probleme, sondern sie existieren auch in anderen Ländern wie zum Beispiel Italien und in den meisten osteuropäischen EU-Ländern. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass mit dem EU-Beitritt automatisch auch der Lebensstandard und alles andere an die hohen Standards im Nordwesten Europas angepasst wird.

Also verläuft die Konfliktlinie klar zwischen Jugend und Regierung?

Hinzu kommt eine Tradition rabiaten Widerstands gegen den Sicherheitsapparat. Das schlechte Verhältnis der Griechen zu ihrer Polizei stammt noch aus der Zeit der Militärdiktatur, während der Studenten mit Polizisten gewaltsam aneinander gerieten.

Was ist das Ziel der Demonstranten?

Sie wünschen sich Zugang zu Zukunftsressourcen: Bildung, Jobs, und eine Be einflussung des politischen Systems. Sie protestieren auch für eine größere Transparenz im Staat. Und dafür, dass Politiker für ihre Entscheidungen und Taten geradestehen. Es gibt in Griechenland seit Jahrzehnten zu wenig Wechsel in der Politik. Ministerpräsident Karamanlis hat nun ein Problem.

Welche politischen Alternativen hat Griechenland – neben den zwei großen Parteien, den Konservativen und Sozialisten?

Die Strukturen werden sich ändern und es wird mehr Parteien geben müssen. So wie sich in vielen anderen Ländern die Parteienlandschaft in den vergangenen Jahren ebenfalls aufgesplittet hat. Vielleicht ist dies in Griechenland die Chance für eine alternative Partei, vielleicht auch für ökologische Interessengruppen.

Wie kann es nach den Unruhen im Land weitergehen?

Wahrscheinlich wird es vorgezogene Neuwahlen geben. Der Staat hat allerdings das Monopol auf Gewalt und darf nicht vor einer kleinen Gruppe Gewalt tätiger zurückweichen – den Krawall verursacht nur eine kleine Gruppe. Die meisten Demonstranten, die Schüler und Studenten, protestieren ja friedlich. Andererseits sind Reformen und ein Politikwechsel unbedingt notwendig.

Muss sich für das Gelingen dieser Reformen auch die griechische Gesellschaft verändern, die Korruption bekämpft werden?

Korruption ist fast überall in Europa ein großes Problem. Ein wenig transparentes System wie das griechische, in dem die Verantwortlichen selten zur Rechenschaft gezogen werden können, ist dafür allerdings anfälliger. Zum Glück ist Griechenland in der EU und auch in der Nato verankert. Ein Rückfall auf ein nicht demokratisches Regierungssystem wäre also nicht möglich. Aber die Antwort auf die Frage, wie die Gesellschaft weiter demokratisiert und der Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen gerechter gestaltet werden kann, ist nicht in Brüssel zu finden, sondern nur in Griechenland.

Das Gespräch führte Katja Reimann.

Zur Person: Dusan Reljic, 52, arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Sein Fachgebiet ist der Balkan. Zudem ist er Aufsichtsratsmitglied im Zentrum für Demokratie und Versöhnung in Südosteuropa in Thessaloniki.

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