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Protest auf der Autobahn. Migranten demonstrieren zwischen Athen und Thessaloniki, weil sie nicht mehr nach Mitteleuropa weiterkommen.

© dpa/VASSILIKI PASCHALI

Balkanroute: Endstation Griechenland für Tausende Flüchtlinge

Die Kontrollen an der mazedonischen Grenze führen zu einem Rückstau der Migranten in Griechenland. Dort verschärft sich die Situation zunehmend.

In Griechenland verschärft sich der Rückstau der Flüchtlinge am südlichen Ende der Balkanroute. Tausende Flüchtlinge kommen in Hellas nicht weiter, nachdem Mazedonien am vergangenen Sonntag die Grenze für Afghanen dicht gemacht hat.

Hunderte Migranten machen sich zu Fuß auf den Weg

Hunderte von Migranten machten sich am Donnerstag zu Fuß auf den Weg von Mittelgriechenland zur rund 200 Kilometer nördlich liegenden Grenze zu Mazedonien, berichtete die Nachrichtenagentur dpa. Demnach war auf Bildern des griechischen Staatsfernsehens zu sehen, wie Frauen mit ihren Kleinkindern auf der Autobahnfahrbahn liefen. Als die Polizei sie daran hindern wollte, begannen die Flüchtlinge einen Sitzstreik auf der Fahrbahn. Zuvor waren nach griechischen Behördenangaben wegen des begrenzten Zugangs an der mazedonischen Grenze rund 40 Busse mit Flüchtlingen gestoppt worden.

Auf den griechischen Inseln kommen wieder mehr Flüchtlinge an

Am Dienstag hatte der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas erklärt, dass derzeit insgesamt 12.000 Migranten in Griechenland feststeckten. Inzwischen ist die Zahl weiter angewachsen, weil in dieser Woche im Durchschnitt jeden Tag rund 3000 Flüchtlinge von der Türkei aus die griechischen Ägäisinseln erreicht haben. Nach Polizeiangaben halten sich derzeit 4800 Migranten auf den griechischen Inseln auf. Die Zahl ist fast doppelt so hoch wie noch zu Beginn der Woche.

Am Mittwoch hatten mehr als 1700 Migranten mit Fähren den Hafen von Piräus erreicht. Auf dem griechischen Festland stehen den Flüchtlingen aber nicht genügend Schlafplätze zur Verfügung. Die Durchgangslager in Athen und Thessaloniki sind überfüllt. Deshalb warten viele Flüchtlinge aus Afghanistan am Viktoria-Platz und Omonia-Platz in Athen darauf, dass ihnen Schlepper bei der Weiterreise helfen.

Jetzt will Athen fünf Aufnahmelager für 20.000 Migranten schaffen

Seit dem vergangenen Sonntag lassen die mazedonischen Behörden im Norden Griechenlands nur noch Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak passieren und verlangen dabei die Vorlage eines Identitätsnachweises. Doch das ist nicht der einzige Grund für die gegenwärtige Zuspitzung der Lage in Hellas: Kritiker werfen der Regierung von Alexis Tsipras in Athen vor, sich allzu lange auf das Durchwinken der Flüchtlinge Richtung Norden beschränkt und zu wenig Vorsorge für die Unterbringung der Schutzsuchenden betrieben zu haben. Bereits im vergangenen Oktober war auf einem Sondertreffen mit Ländern entlang der Balkanroute im Beisein von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Brüssel die Schaffung von 50.000 Aufnahmeplätzen in Griechenland beschlossen worden. Dieses Ziel ist offenkundig bisher nicht erreicht worden. Am Donnerstag kündigte der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos an, dass insgesamt 20.000 Migranten in fünf neuen Auffanglagern in Nordgriechenland untergebracht werden sollen. Vier Lager sollen demnach in der Region Kilkis wenige Kilometer südlich der Grenze Griechenlands zu Mazedonien entstehen, ein fünftes westlich der Hafenstadt Thessaloniki.

Österreichs Innenministerin fordert erneut Ausschluss Griechenlands aus Schengen-Raum

Unterdessen stand das Treffen der EU-Innenminister in Brüssel am Donnerstag ganz im Zeichen der Wiener Balkan-Konferenz, welche die österreichische Regierung am Vortag abgehalten hatte. Dort war ohne eine Beteiligung Deutschlands und Griechenlands eine massive Verstärkung der Kontrollen unter anderem an der Grenze Mazedoniens zu Griechenland beschlossen worden. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner forderte erneut den Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum des freien Reisens, da Athens Minister Mouzalas erneut davon gesprochen habe, dass die griechische Seegrenze mit der Türkei nicht zu schützen sei – trotz des in diesen Tagen anlaufenden Nato-Einsatzes: „Wenn dem tatsächlich so ist“, lautete Mikl-Leitners rhetorische Frage, „kann sie dann noch Schengen-Außengrenze sein?“

Den Verfechtern der Türkei-Lösung läuft die Zeit davon

Die Verfechter europäischer Lösungen, die zum Erhalt der Reisefreiheit im Innern auf einen gemeinsamen Außengrenzschutz mit der Türkei setzen, mussten am Donnerstag entsprechend zugeben, dass ihnen die Zeit davon läuft – und der EU-Gipfel am 7. März die entscheidende Wegmarke für die Zukunft der europäischen Flüchtlingspolitik werden könnte. „Wir haben noch zehn Tage für eine europäische Lösung“, sagte EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos, „einsame Lösungen führen nirgendwo hin.“ Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière nannte dieselbe Frist: „Bis 7. März wollen wir eine drastische Verringerung der Zahlen der Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze erreichen.“

De Maizière erkennt an, dass Wien Fakten geschaffen hat

Andernfalls – so zeichnet sich immer stärker ab – werden dann die schon beim EU-Gipfel in der Vorwoche angekündigten „Entscheidungen“ getroffen werden müssen. Erstmals deutete de Maizière in Brüssel an, dass sich die Bundesregierung auch auf ein Scheitern der von ihr favorisierten europäisch-türkischen Lösung einstellt. Dann müsse es zumindest „andere europäisch koordinierte Maßnahmen“ geben, da „alle den Schaden nehmen“ würden, wenn es danach zu unabgestimmten, rein nationalen Maßnahmen kommen sollte. Details der Überlegungen dazu, wie solche alternative Modelle aussehen könnte, wollte der deutsche Vertreter freilich nicht öffentlich machen. Der niederländische Minister Klaas Dijkhoff war in diesem Punkt offener und nannte indirekt die von Österreich eingeleiteten „Eindämmungsmaßnahmen“ als mögliches Modell. Mit dem kommunikativen Schwenk hin zu einem möglichen Scheitern des deutschen Ansatzes („Ich bin Optimist, aber auch Realist“) hat de Maizière quasi anerkannt, dass die Wiener Regierung Fakten geschaffen hat. Er gab sich zwar weiter überzeugt, dass es wegen der mit Ankara vereinbarten Kooperation noch „gelingen kann, bis zum 7. März Erfolge vorzuweisen“, sicher ist dies aber keinesfalls.

Für Verärgerung sorgte in Brüssel vor allem die Tatsache, dass die Gipfel-Absprache der Vorwoche, bis zu eben jenem Datum von Alleingängen abzusehen, nur wenige Tage Bestand hatte. Der Luxemburger Minister Jean Asselborn sprach gar von einer „Banalisierung der Europäischen Räte mit null Effekt“ – die Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs würden schlicht ignoriert: „Wir haben keine Linie mehr und steuern irgendwie in eine Anarchie hinein.“ Ohne baldige Einigung auf eine gesamteuropäische Lösung werde es zu einem „Verhängnis“ kommen.

Wie groß die Spannungen zwischen den Partnern in der EU inzwischen sind, zeigt nicht zuletzt die diplomatische Krise zwischen Griechenland und Österreich. Unmittelbar nach der Wiener Konferenz hatte Athens Premier Alexis Tsipras sie als „Schande“ bezeichnet und eine Blockade anderer EU-Gesetze angekündigte, sollte sein Land in der Flüchtlingskrise allein gelassen werden. Am Nachmittag rief seine Regierung ihre Botschafterin aus Wien zurück – zu Konsultationen, wie es hieß.

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