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Politik: Bange Blicke nach Bagdad

Was der Irak erlebt, könnte Afghanistan noch bevorstehen: ein Rückfall ins Chaos.

Von Michael Schmidt

Berlin - Den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai mögen dieser Tage böse Vorahnungen beschleichen. In den Hauptstädten der Nato wird politisch und militärisch Verantwortlichen womöglich der Atem stocken: Der Irak versinkt erneut im Chaos, kaum dass der letzte US-Soldat in seine Heimat zurückgekehrt ist. Nun fragt sich alle Welt, muss sich der Westen fragen und die Allianz fragen lassen, ob das, was derzeit die Schlagzeilen über den Irak bestimmt, nicht einen Vorgeschmack gibt auf das, was auch das Land am Hindukusch nach 2014 erwarten könnte, wenn die internationalen Truppen Afghanistan verlassen: Gewalt, Terror, Zerfall.

Das lässt sich kaum mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Nicht nur, weil Prognosen einem viel zitierten Sinnspruch zufolge immer schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Sondern auch, weil die Wirklichkeit verzwickt ist, vielschichtig und uneindeutig. Zu den Parallelen, die beiden Ländern den Weg in eine ungewisse, eher konfliktreiche Zukunft weisen, gehört die Art und Weise der internationalen Intervention. Erst galt es, mit möglichst wenig Aufwand ein relativ begrenztes Ziel zu erreichen: hier die Vertreibung der Taliban und die Bekämpfung des Terrornetzwerks Al Qaida, dort der Sturz des Diktators Saddam Hussein. Diese Ziele wurden erreicht. Neue traten jedoch an ihre Stelle – Wiederaufbau, Demokratie, Menschenrechte – und erwiesen sich bald als überambitioniert. Die Antwort des Westens war eine jeweils massive vorübergehende Truppenaufstockung, verbunden mit dem Versuch, lokale Kräfte einzubinden, und dann ein rascher, eher innenpolitisch motivierter als sachlich begründeter Abzug.

Dem Krieg in Afghanistan sind bisher mehr als 2800 Soldaten und nach Schätzungen bis zu 30 000 Zivilisten zum Opfer gefallen, dem Krieg im Irak 4800 Soldaten und mehr als 100 000 Zivilisten. Trotz dieses gewaltigen Blutzolls waren die Startbedingungen für den Irak eigentlich besser. Das Wort vom zivilen „Wieder“-Aufbau trifft überhaupt nur auf das Zweistromland zu: Im Gegensatz zum Irak mit seinen vielen Städten nämlich hat das ländlich strukturierte Afghanistan nie moderne Staats- und Gesellschaftsstrukturen gehabt, an die sich anknüpfen ließe. Auch ist der Irak reich an Rohstoffen, während in Afghanistan einzig der Drogenanbau und -handel boomt. Doch erweist sich der irakische Ölreichtum zunehmend als ein „Ressourcenfluch“, sagt Conrad Schetter vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung. Das klingt paradox, lässt sich aber leicht erklären: Das schwarze Gold birgt Konfliktpotenzial, Sunniten und Kurden ringen, durchaus nicht gewaltfrei, um die Kontrolle der Quellen.

Auch die zweite Stärke des Irak – gefestigte soziale Gruppen mit klaren kulturellen Grenzen und starken politischen Organisationen – erweise sich als eine vermeintliche. Beide Gesellschaften seien stark zersplittert, doch nur der irakischen drohe der Zerfall, sagt Schetter, weil bei den politischer denkenden Schiiten, Sunniten und Kurden der „Drang zur Eigenstaatlichkeit“ ausgeprägter sei als bei den dörflich orientierten afghanischen Clans und Familien. Und während die Konflikte im Irak bis in die Regierung hineinreichten, sei es Karsai immer wieder gelungen, die verschiedenen ethnischen, religiösen und wirtschaftlichen Gruppen auszubalancieren – „wenn auch auf eine Weise, die einem nicht gefallen muss“.

Zwei Entwicklungen jedoch beunruhigen Schetter. Erstens erwartet er zwar, dass durch den Abzug der Nato Afghanistan für reisende Dschihadisten an Attraktivität verliert, die am Hindukusch den Kampf mit den Ungläubigen suchten. Zudem würden die Taliban an Integrationskraft verlieren, die vor allem die Feindschaft gegen Ausländer eine. Dennoch werde die Gewalt nach 2014 mindestens kurzfristig zunehmen: Der Westen rüste derzeit, wie einst im Irak, lokale Milizen auf und aus und riskiere damit, wie im Irak, eine Militarisierung der Gesellschaft, die im Falle eines Falles in gewaltsame Eruptionen wie jetzt in Bagdad münden könnte.

Hinzu komme, zweitens, anders als im Falle des Irak, eine konfliktreiche Nachbarschaft mit einem großen Drang, sich in innere Angelegenheiten einzumischen. Dabei wisse man nicht, wer wen mit welchem Interesse unterstütze, sagt Schetter. Afghanistan werde in diesem Umfeld, etwa in der Auseinandersetzung mit Pakistan, seine territoriale Integrität wohl nur wahren können, wenn der Westen über 2014 hinaus zu helfen bereit ist.

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