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Politik: Baraks sanfte Evolution - Was aussieht wie Streit, ist nur ein Nachhutgefecht

Er eindruck trügt. Der nahöstliche Friedensprozess steckt keineswegs mehr in der Sackgasse, in die er von Benjamin Netanjahu unter Mithilfe Jassir Arafats und Hafez el-Assads gelenkt wurde.

Er eindruck trügt. Der nahöstliche Friedensprozess steckt keineswegs mehr in der Sackgasse, in die er von Benjamin Netanjahu unter Mithilfe Jassir Arafats und Hafez el-Assads gelenkt wurde. Die Wendung ist mit der Wahl Ehud Baraks zum israelischen Ministerpräsidenten vollzogen, die Fahrt zum Frieden hat begonnen. Noch findet sie in nächtlicher Stunde statt. Doch die Richtung stimmt: Bald geht die Fahrt ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit und damit in den Tag hinein.

Vor allem für amerikanische und europäische Beobachter sind fast nur die Störungen bei den Verhandlungen und Stellungnahmen der Israelis und Palästinenser wahrnehmbar. Ganz einfach, weil sie lauter vorgetragen werden und gewohnt klingen. Doch Ehud Barak liebt die unauffällige Politik. Deshalb ist beipielsweise dem derzeitigen Streit um die Häftlingsfreilassungen nur geringer Stellenwert zuzumessen. Baraks am gleichen Tag erfolgter Ankündigung dagegen, in zwei Wochen würden die ersten Häftlinge, am 8. Oktober der vorläufig letzte Schub freigelassen, ist Glauben zu schenken.

Und wenn der israelische Ministerpräsident sagt, dass er das Wye-Abkommen - infolge mangelnder Zustimmung von palästinensischer Seite zu seinen Änderungsvorschlägen - sinngemäß umsetzen wird, dann ist ihm zu glauben, solange bis das Gegenteil bewiesen ist. Bei Netanjahu war es noch umgekehrt. Genau dies hat der ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak von Anfang an erkannt, weshalb er Barak auch volle zwei Monate einräumte, um seinen Friedenswillen unter Beweis zu stellen.

Ganz anders Amerikaner und Europäer. Sie scheinen vergessen zu haben, dass Barak gerade einmal anderthalb Monate im Amt ist und keine Schonfrist beansprucht hat, sondern sich sofort an die Arbeit machte, das für erfolgreiche Verhandlungen notwendige gegenseitige Vertrauen wiederherzustellen. Tatsächlich legt er ein nicht nur für den Nahen Osten ungewohnt hohes Tempo vor und hat sich mit teilweise engen zeitlichen Fixdaten selbst unter Zeitdruck gesetzt. Was will man noch mehr? Frieden ist nun einmal - gerade im Nahen Osten - eine langwierige Angelegenheit.

Vor allem aber zeugt die zunehmende Ungeduld des letztlich unbeteiligten Auslandes vom fehlenden Verständnis für die politischen Bedürfnisse und Gefühle der betroffenen Völker sowie für die ortsübliche Verhandlungsführung. Barak weiß, dass er für seine Bürger größtmögliche nationale und vor allem persönliche Sicherheit in den Abkommen aushandeln und festschreiben muss, will er diese durch eine Volksbefragung bestätigen lassen. Und er muss für Gebietsrückgaben und Siedlungsräumungen echte palästinensische Gegenleistungen sichtbar machen. Für Jassir Arafat wiederum kann es derzeit nur darum gehen, mittels ausgehandelter Häftlingsfreilassungen durch die Israelis die eigene Opposition zu beruhigen. Krisen, wie sie jetzt in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen sichtbar wurden, sind in diesem Stadium keineswegs schlechte Zeichen. Im Gegenteil: Sie beweisen einerseits, dass wirklich verhandelt und nicht aneinander vorbei gesprochen wird. Vor allem aber zeigen die Streitigkeiten über wichtige Punkte oder auch nur nebensächliche Details auf, dass man sich im Grundsatz bereits einig ist. Wie meinte Israels kluger Araber-Kenner Mosche Dayan einst bei den Friedensverhandlungen mit Ägypten in Camp David zu den Amerikanern, die wegen scheinbar unüberbrückbarer Differenzen enttäuscht abreisen wollten: "Bleiben Sie. Wir sind uns einig und streiten nur noch um den Bakschisch." Darum, um die Trinkgelder, geht es auch heute.

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