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Politik: Basta mit basta

Die Jusos halten die Agenda 2010 für unsozial – und antworten Scholz und Müntefering mit Buh-Rufen

ROT-GRÜN UND DIE REFORMDEBATTE

Endlich einmal Standing ovations für Olaf Scholz. Der SPD-Generalsekretär hatte als Gast des Juso-Bundeskongresses in Bremen gerade seine Verteidigungsrede für das Sozialabbau-Konzept Agenda 2010 beendet, da erhoben sich Zuhörer klatschend von ihren Sitzen – allerdings nur zwei oder drei in der rechten Saalecke. Einige andere applaudierten im Sitzen, aber die meisten der knapp 300 Delegierten hatten sich von Scholz nicht überzeugen lassen – „weil Du selbst nicht überzeugt bist“, wie eine Delegierte mutmaßte. Und aus der Ecke, wo sich die traditionelle Linke versammelt hatte, erklangen „Buh“-Rufe.

Niemand müsse die Reformen „voller Begeisterung“ mittragen, hatte Scholz dem SPD-Nachwuchs zugerufen; aber „aus Sorge um den Sozialstaat“ seien sie nun einmal nötig, damit bis 2010 „das Ziel Vollbeschäftigung wieder in den Blick genommen werden“ könne. Scholz stand nicht auf völlig verlorenem Posten. Die Minderheit im Saal, die sich „Reformsozialisten“ nennt und von Kritikern als Kanzler-Unterstützungsverein eingestuft wird, klatschte mehrfach rhythmisch Beifall. Sie nennt das Reformpaket einen Schritt in die richtige Richtung. Allerdings gehe es noch nicht weit genug: So sollten die Sozialversicherungen auf ein steuerfinanziertes System umgestellt werden.

Kämpferischer als Scholz warb SPD-Fraktionschef Franz Müntefering für die Reformen. Breiten Beifall bekam er, als er für „starke Gewerkschaften“ plädierte („Was da an Gift gestreut wird von den Merzens und den Westerwelles – da müssen wir aufpassen“). Aber auch bei ihm überwogen die „Buh“-Rufe. Müntefering sagte: „Wir wollen keine Amerikanisierung der Gesellschaft, sondern die Sicherung des Sozialstaates.“ Deutschland habe zu lange „auf Pump gelebt“, „das geht auf eure Kosten“, rief er den Delegierten zu. Mit Blick auf das von vielen Jusos begrüßte Mitgliederbegehren sagte er: „Wer jetzt die Partei fragt, soll dann auch im Bundestag machen, was die Partei sagt.“ Derzeit sieht es so aus, dass die SPD der Agenda zustimmen wird.

Juso-Vizechef Björn Böhning hielt Müntefering vor: „Am Sozialstaat habt Ihr gerupft, vor den Vermögenden habt Ihr euch geduckt.“ Die Jusos forderten in Bremen die Vermögensteuer. Juso-Chef Niels Annen erhielt viel Beifall, weil er die Agenda als „eine einzige Gerechtigkeitslücke“ bezeichnete. Dass Gerhard Schröder „jeden Kompromissversuch vom Tisch gewischt“ habe, zeige eine „erstaunliche Ignoranz“, rügte Annen. Andere Redner sprachen von Arroganz, Erpressung und Wählerbetrug. Über Schröder waren sich die Jusos denn auch fast einig: Sie verurteilten die „Basta-Mentalität“ des Kanzlers, einst selbst Chef der Jusos. Annen prägte wohl eingedenk dessen den Satz: „Die Partei von heute sind die Jusos von gestern. Das sollte uns Warnung genug sein." Beim Sonderparteitag am 1. Juni in Berlin „werden wir kein ,basta’ akzeptieren“, kündigte Annen an.

Die Jusos wollen, dass Betriebe ohne Ausbildungsplätze eine Abgabe zahlen müssten. „Umlage! Umlage!“, skandierten Zwischenrufer bei jeder passenden Gelegenheit. Scholz und Müntefering wollten sich darauf nicht festlegen, versprachen aber allgemein gesetzliche Maßnahmen, falls die Wirtschaft nicht die Lehrstellenlücke schließt.

Trotz einiger Anfeindungen zwischen Rechten und Linken meinte Annen, der 70 000 Mitglieder zählende Jugendverband der SPD sei nicht länger tief gespalten und beschäftige sich nicht mehr vorrangig mit sich selbst – wie noch vor zwei Jahren. Damals war Annen, der einst zum linken Flügel gerechnet wurde und sich heute keiner Strömung mehr zuordnet, in einer Kampfabstimmung an die Spitze gewählt worden. In Bremen wurde der 30-Jährige ohne Gegenkandidaten bestätigt – mit einer bei den Jusos bis dato unerreichten Drei-Viertel-Mehrheit.

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