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Politik: Becks Schulden-Rallye

Aus einem vorläufigen Prüfbericht der EU-Kommission geht hervor, dass beim Projekt Nürburgring allein Steuergeld geflossen ist.

Berlin - Kurt Beck hält es gerne mit seiner Großmutter Gretel, die er etwa in seinem Essaybuch „Politik geredet“ zitiert. „Junge, lass die Kirche im Dorf. Übertreib es nicht, sollte das heißen“, schreibt Beck, und weiter: „Ich erinnere mich oft an diese Mahnung. Sie hilft mir beim Regieren. Trotzdem wollte ich hoch hinaus – aber nicht so hoch, dass niemand mitkommt und ich ganz alleine dort oben bin.“

Nun scheint es so zu sein, dass der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, seit 18 Jahren im Amt, beim insolvent geratenen Nürburgring doch viel zu hoch hinauswollte. Gerade stürzt Beck ab, offen ist, wie er fällt. Immer mehr Indizien sprechen dafür, dass Beck und führende SPD-Regierungsmitglieder seit vielen Jahren wussten, wie unrealistisch es ist, mit dem geplanten Freizeitpark rentabel zu wirtschaften. Allein aus dem – öffentlich zugänglichen – Prüfbericht der Kommission der Europäischen Union geht hervor, dass das Projekt allein auf Schulden gebaut war.

Lange prüfte die EU-Kommission, ob es bei den Finanztransfers am Nürburgring korrekt zugegangen ist. Im Bericht vom März 2012 kommt sie zu dem – vorläufigen – Ergebnis, dass vieles nicht den Wettbewerbsregeln entspricht. Besonders heikel würde es für die Mainzer Regierung werden, sollte dieses Urteil auch auf die Geldtransfers zwischen Land und der landeseigenen Investitions- und Strukturbank (ISB) zutreffen.

Als 2009 die private Finanzierung des bereits fast fertig gebauten Erlebnisparks platzte, musste die ISB der ebenfalls landeseigenen Nürburgring-Gesellschaft einen Kredit von 330 Millionen Euro geben, um sie am Leben zu halten. Aber so viel Geld hatte die ISB selbst nicht, so dass das Land wiederum einen Kredit aufnahm, um ihn über die ISB weiterzutransferieren. Das Land gab der ISB eine Bürgschaftsgarantie. Diese Garantie ist Teil der Prüfungen durch die EU, ebenso wie die nun fällig gewordene Kreditrückzahlung nach der Pleite, wie die EU-Kommission dem Tagesspiegel auf Anfrage sagte.

Am Mittwoch aktivierte der Haushaltsausschuss mit der Regierungsmehrheit von Rot-Grün 254 Millionen Euro für die ISB. Sollte die EU zu dem Schluss kommen, dass Garantie und Kreditrückzahlung beihilfewidrig ist, stünde die ISB vor einem finanziellen Desaster und damit das ganze Land, das Schulden von 33 Milliarden Euro angehäuft hat. Mainz gibt sich demonstrativ gelassen, sowohl ISB, Becks Staatskanzlei als auch sein Finanzminister Carsten Kühl (SPD) betonten mehrfach, dass auch aus einer Stellungnahme der Bundesregierung hervorgehe, dass „Fördermaßnahmen der ISB nicht dem Beihilferecht unterliegen“.

Die Bundesregierung widerspricht in diesem Punkt der Landesregierung. Anders als von Kühl öffentlich behauptet, habe die Bundesregierung niemals erklärt, Fördermaßnahmen für die landeseigene Investitions- und Strukturbank (ISB) unterlägen nicht dem EU-Beihilferecht. Das teilte das zuständige Bundeswirtschaftsministerium dem Tagesspiegel mit. Es habe zwar im Rahmen des Prüfverfahrens der EU- Kommission eine Stellungnahme gegeben, aber in dieser „hat die Bundesregierung keine konkrete Aussage getroffen, da dort eine anders gelagerte, nicht Nürburgring-spezifische Förderbankproblematik behandelt wurde“.

In der sogenannten Eröffnungsentscheidung der Kommission vom Juni finden die Prüfer deutliche Worte, die wenig Interpretationsspielraum zugunsten der Mainzer zulassen. Aus einer Tabelle geht hervor, dass die Nürburgring GmbH seit 2002 bis auf ein Ausnahmejahr rote Zahlen schrieb. Im Bericht heißt es: „Bei einer Prüfung der Berechnung der Jahresergebnisse (…) werden die Auswirkungen der schwachen finanziellen und betrieblichen Ergebnisse deutlich.“ Die Kommission gibt an, dass sich die „Beihilfemaßnahmen insgesamt auf mindestens 485 787 149,14 Euro belaufen“.

Auf Seite 31, Punkt 116 kommt die Kommission zu dem für Becks Regierung wenig schmeichelhaften Ergebnis: „Angesichts der dauerhaft schlechten Finanzlage der NG (Nürburgring GmbH, Anm. d. Red.) und ihrer ständigen Abhängigkeit von staatlichen Mitteln und Darlehen aus dem Liquiditätspool erscheint es wahrscheinlich, dass ein marktwirtschaftlich handelnder Investor nicht in die NG investiert hätte, da einerseits die Risiken zu hoch wären und andererseits – wenn überhaupt – zu erwartende Gewinne zu niedrig ausfallen würden, als dass eine derartige Investition sinnvoll erschiene.“

Auch im Hinblick auf die ISB sagen die Wettbewerbshüter, dass der „Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kreditgebers nicht eingehalten wurde, da die Finanzierung aus dem landeseigenen Liquiditätspool nicht zu Marktbedingungen gewährt wird“. Der Landesrechnungshof beziffert den Zinsvorteil für die ISB auf 900 000 Euro. Auch an anderen Stellen schreibt die Kommission, dass sie davon ausgehe, das Land habe der ISB einen „Vorteil“ verschafft, den sie unter Marktbedingungen nicht gehabt hätte. Das bedeutet für die EU: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann nicht ausgeschlossen werden, dass der gesamte Nennwert des ISB-Darlehns als staatliche Beihilfe einzustufen ist.“

Was würde wohl Großmutter Gretel zu alledem sagen? Armin Lehmann

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