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Politik: „Becks Vorschlag ist nicht gerecht“

DIW-Präsident Zimmermann zur Agenda 2010 – und warum sie Arbeitslosen hilft

Sind die älteren Arbeitnehmer und Arbeitslosen die Verlierer der Agenda 2010, Herr Zimmermann?

Ganz im Gegenteil. Die Regelungen vor dem Inkrafttreten der Agenda waren besonders ungerecht für Ältere. Das ganze damalige System war darauf angelegt, ältere Menschen früher in die Rente zu schicken und ihnen durch lange Zahlung von Arbeitslosengeld die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt zu vermiesen. Ältere Menschen sind vor der Agenda gezielt aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt worden.

SPD-Chef Kurt Beck sagt, es gebe ein Gerechtigkeitsproblem beim Arbeitslosengeld I.

Das sehe ich überhaupt nicht. Auch heute erhalten Ältere 18 Monate und nicht 12 Monate lang wie jüngere Arbeitslose das ALG I. Die viel wichtigere Frage ist, ob man politische Entscheidungen als gerecht empfindet, die die älteren Arbeitslosen in der Arbeitslosigkeit festhalten. Und diese Frage beantwortet der SPD-Chef im Augenblick klar mit Ja.

Verabschiedet sich Beck mit diesem Schritt von der Agenda 2010?

Der Grundgedanke der Agenda war, bessere Bedingungen für Arbeit zu schaffen. Die Verkürzung des Arbeitslosengeldes war dazu ein ganz entscheidender Schritt. Heute wissen wir, dass dieser Schritt erfolgreich war. Denn der massive Rückgang der Arbeitslosengeld-I-Empfänger ist nicht in erster Linie eine Folge der Konjunkturentwicklung, sondern vor allem ein Ergebnis der Verkürzung der Bezugszeiten des Arbeitslosengeldes. Wer daran rüttelt, wie es jetzt Kurt Beck tut, verabschiedet sich von der Agenda.

Mit welchen Folgen?

Mit gravierenden Folgen für alle Beteiligten. Zuerst die älteren Arbeitslosen: Sie werden wieder länger ohne Arbeit sein, es wird wieder leichter werden für Betriebe, sich von Ihnen zulasten der Arbeitslosenversicherung zu trennen. Auch die Arbeitnehmer werden darunter leiden. Denn sie sind es, die die Zeche zahlen müssen, wenn der SPD-Vorschlag umgesetzt wird. Und zwar in Form von höheren beziehungsweise nicht so stark sinkenden Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung und steigenden Beiträgen für die Rentenversicherung. Denn eines ist klar: Wenn wieder mehr Ältere früher in Rente gehen, dann wird das spätestens, wenn die Wirtschaft wieder weniger gut läuft, die Rentenkassen belasten. Becks Vorschlag ist also weder für die älteren Arbeitslosen noch für die Arbeitnehmer gerecht. Und ich frage mich, warum die SPD für ein paar kurzfristige Pluspunkte in Umfragen so einen falschen Weg einschlagen will.

Das Gespräch führte Antje Sirleschtov.





Klaus F.

Zimmermann

ist Präsident des

Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW)

in Berlin.

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