zum Hauptinhalt
Gehts nach oben? Oder nach unten?

© Jan Woitas/dpa

Befindlichkeit der Deutschen: Von der Relativität deutscher Sorgen

Während die persönliche Situation meist positiv eingeschätzt wird, sehen viele die Lage der Nation kritisch. Warum ist das so? Ein Kommentar.

Das hört ja gut auf! Glaubt man der Analyse des Hamburger Zukunftsforschers Horst Opaschowski und seiner Auswertung einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Ipsos, erwarten nur noch 17 Prozent der Deutschen im Blick auf das neue Jahr bessere Zeiten. 2014 hätten noch 45 Prozent der Befragten voller Optimismus nach vorne geblickt, also mehr als doppelt so viele. Opaschowski deutet die Stimmungslage mit einem Vergleich. Eine breite Mittelschicht lebe nach dem Paternoster-Prinzip: Man fahre nach oben, sei aber sicher, dass es wieder abwärts geht, wenn man erst einmal oben angekommen ist.

Das Bild speist sich oft aus Vorurteilen

Nicht nur die Ipsos-, sondern auch andere Umfragen bestätigen seit Jahren eine deutsche Tendenz zur Schwarzmalerei im Blick auf das künftige Befinden der Nation, während man die eigene Situation als durchaus komfortabel einstuft. Das heißt aber auch: Bei dem, was jeder von uns aus eigenem Erleben beurteilen kann, ist die Stimmungslage ganz gut. In der Einschätzung der Gesamtentwicklung hingegen sind wir fast alle auf Informationen aus zweiter oder dritter Hand angewiesen. Medien, Internet, der Informations- und Gerüchteaustausch in der eigenen Blase tragen dazu bei, dass ein Bild entsteht, das sich oft weniger aus der Realität als aus Vorurteilen und Schwarzmalerei speist. Deswegen fürchten Diktaturen ja nichts mehr als fehlende Kontrolle über das, was die Bürgerinnen und Bürger wissen sollen und wollen.

Die Befindlichkeit der Deutschen ist nichts Neues

In einer offenen Gesellschaft mit freiem Informationsaustausch haben wir jedoch die Möglichkeit, den eigenen Optimismus oder Pessimismus an Fakten zu prüfen. Zum Beispiel daran, wie es Nachbarn geht, Kollegen am Arbeitsplatz, den Sportfreunden im Verein. Das gibt dann schon eher ein realistisches Bild. Und wir können, da wir freien Zugang zu Informationen haben, die düsteren Erwartungen der jüngsten Umfrage mit den Ergebnissen ähnlicher oder gleicher Erhebungen der Vorjahre vergleichen, auch solchen in anderen Ländern. Dann stellen wir zweierlei fest: Die Deutschen sind, zum einen, im Vergleich zu anderen Nationen eher Schwarzseher im Blick auf das große Ganze, auch dann, wenn es ihnen persönlich nicht schlecht geht. Und das ist, zum zweiten, nicht neu. Schon immer gab es bei solchen Umfragen eine Diskrepanz zwischen der eigenen Gefühlslage und der vermuteten Befindlichkeit aller.

So viel Hoffnung wie 1989 war nie

Weshalb die Deutschen eher ängstlich in die Zukunft schauen, kann man nur vermuten. Verlorene Weltkriege, die Schuld am millionenfachen Mord an den europäischen Juden, Inflation, Vertreibung – bis zum Moment der Wiedervereinigung gab es, trotz Wirtschaftswunder und starker DM, wenig, aus dem die ganze Nation hätte Selbstbewusstsein schöpfen können. Welche Rolle der Mauerfall für das deutsche Selbstwertgefühl zumindest im Jahr des Geschehens gespielt hat, belegt eine andere Umfrage. Eine, die das Institut für Demoskopie Allensbach seit 1949 am Jahresende durchführt, stets mit der gleichen Frage: Sehen Sie dem neuen Jahr mit Hoffnungen oder Befürchtungen entgegen? Im Dezember 1989 hatten 68 Prozent mehr Hoffnungen und nur zehn Prozent mehr Befürchtungen – weder davor noch danach je erreichte Werte.

In diesem Jahr schauen 52 Prozent voller Hoffnung voraus. Exakt genauso viele wie ein Jahr zuvor. 13 mal seit 2000 waren die Werte noch schlechter. Vielleicht sind die Schatten über 2019 also doch nicht gar so grauslig.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false