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Politik: Beginnt Israel Gaza-Rückzug noch im Juli?

Nach den Demonstrationen der jüdischen Siedler erwägt Premier Scharon eine frühere Räumung / Weitere Proteste angekündigt

Tel Aviv - Israels Regierungschef Ariel Scharon erwägt ein Vorziehen des geplanten Abzugs aus dem Gazastreifen, um Störungen durch protestierende Rückzugsgegner zu vermeiden. Wie ein Regierungssprecher sagte, sei denkbar, dass Scharon ein mögliches Vorziehen bereits bei einem geplanten Treffen mit US-Außenministerin Condoleezza Rice bei deren kurzfristig angesetztem Nahost-Besuch besprechen wolle. Rice lobte bei ihrem Eintreffen in Israel Scharon für seine Entschlossenheit zum Abzug.

Auch die Vize-Ministerpräsidenten Schimon Peres von der Arbeitspartei und Ehud Olmert vom Likud sprachen sich dafür aus, mit der Räumung der 21 Siedlungen im Gazastreifen und vier weiteren im Westjordanland nicht erst Mitte August zu beginnen. Vom rechtlichen Standpunkt aus könnte der Rückzug bereits am 22. Juli starten, sagte Olmert. Kritik kam von Bauminister Yitzchak Herzog (Arbeitspartei), der für die Unterbringung der 8400 betroffenen Siedler nach der Räumung zuständig ist.

Die Siedlerführung schickte am Donnerstag die noch in dem Ort Kfar Maimon verbliebenen Protestler nach Hause. Am Vortag hatten tausende Gegner des Rückzugs ihre dreitägige Großdemonstration an der Grenze zum Gazastreifen beendet, ohne dass es zur befürchteten Konfrontation mit den 20000 Polizisten und Soldaten kam. Die widrigen Umstände hatten die Siedler und ihre nationalistischen Sympathisanten nach drei Tagen in die Knie gezwungen: Das Trinkwasser erhitzte sich aufgrund der hohen Temperaturen fast bis zum Siedepunkt, die Sanitäter mussten Hitzschläge, Schlangenbisse und Skorpionstiche behandeln. Der Protest gegen die Siedlungsräumungen soll aber nächste Woche erneuert werden.

Auch bei der Polizei gab man sich am Donnerstag keinen Illusionen hin: „Der Protest ist noch nicht am Ende.“ Tatsächlich kündigte die Siedlerführung an, sie werde ab nächster Woche wieder versuchen, tausende in den Gush-Katif-Siedlungsblock im Gazastreifen hineinzubringen, obwohl dieser systematisch abgeriegelt und zur militärischen Sperrzone erklärt worden ist. Deshalb haben Polizei- und Armeeführung beschlossen, tausende Uniformierte aus Kfar Maimon an den nahen Grenzzaun zum Gazastreifen abzuziehen. Sie sollen besonders am Übergang Kissufim zum Gush Katif konzentriert werden, um Infiltrationsversuche zu unterbinden.

Die Polizei spricht von bisher 600 bis 700 Eindringlingen seit der Absperrung, die Siedler dagegen von tausenden. Allein in der Nacht zu Donnerstag wurden 250 der Demonstranten aus Kfar Maimon festgenommen, die versucht hatten, den Hochsicherheitszaun und die dichte Wachlinie der Armee zu überwinden oder zu umgehen. Noch immer hat ein Großteil der Siedler keinen Kontakt mit der Räumungszentrale aufgenommen. Weniger als einen Monat vor Räumungsbeginn haben sich erst 14 Prozent um eine neue Wohnung und die Einschreibung in den Schulen gekümmert. Auch weiterhin sind fast zwei Drittel der betroffenen Siedler der Überzeugung, die Räumung werde letztlich doch nicht stattfinden. Die Armee teilte den Siedlern mit, sie habe in der hochemotionalen Frage der Gräberverlegungen entschieden, dass die insgesamt 48 Gräber vom Gush-Katif-Hauptort Neve Dekalim erst nach Räumung aller Siedlungen nach Israel überführt würden.

Der Besuch der US-Außenministerin Condoleezza Rice war kurzfristig nach dem letzten Terroranschlag in Netania und der Wiederaufnahme israelischer Vergeltungs- und Liquidierungsaktionen anberaumt worden. Rice befürchtete, dass die Eskalation den israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen und Teilen des nördlichen Westjordanlandes unmöglich machen könnte. Die Außenministerin will mit ihrem Besuch die amerikanische Unterstützung für diesen Schritt Scharons ausdrücken und sich um eine Koordinierung zwischen Israel und den Palästinensern bemühen. Doch aus der Umgebung von Scharon verlautete am Donnerstagmorgen, dass der israelische Regierungschef sich vor dem Rückzug nicht mehr mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas treffen werde.

Washington hatte im Hinblick auf die zweitägige Rice-Visite die Möglichkeit eines von der Außenministerin arrangierten Treffens von Scharon und Abbas ausgekundschaftet, war jedoch in Jerusalem auf taube Ohren gestoßen. Rice wird beide deshalb getrennt treffen.

Charles Landsmann[Tel Aviv]

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