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Politik: Behinderte finden kaum Arbeit

Vorurteile wirken stärker als der Aufschwung

Frankfurt am Main - Die Zahl arbeitsloser Menschen mit Behinderungen gibt die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit rund 161 000 an und bezeichnet sie zugleich als nicht vollständig. Die 69 sogenannten Optionskommunen – Städte und Landkreise, die sich alleine um ihre Arbeitslosen kümmern –, melden ihre Zahlen nicht. So schätzen die Sozialverbände, dass mindestens 200 000 Schwerbehinderte ohne Job sind. Und die Bundesregierung bedauert, dass die Arbeitslosigkeit schwer Behinderter in den letzten zwölf Monaten nur um zehn Prozent gesunken ist; bei Menschen ohne Handicap liegt der Rückgang bei 22 Prozent.

„Das getrennte Aufwachsen der Kinder mit und ohne Behinderungen lässt Vorurteile entstehen, die später schwer auszuräumen sind“, sagt die Bundesbehindertenbeauftragte Karin Evers-Meyer. „Firmenchefs, die Bewerbungen beispielsweise von blinden EDV-Fachleuten, gehörlosen Zeichnern oder gelähmten Lehrkräften bekommen, wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. Vielleicht haben sie zuletzt im Kindergarten mit einem behinderten Altersgenossen gespielt.“ Dabei zeigt die deutlich höhere Erwerbsquote Behinderter in anderen Ländern, dass ein Handicap nicht Erwerbsunfähigkeit bedeuten muss. Und in Deutschland etwa arbeiten 60 blinde Richterinnen und Richter; dennoch muss eine blinde Juristin mit besten Noten in Berlin um Anstellung kämpfen.

Obwohl die Verfassung, Bundes- und Ländergleichstellungsgesetze sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz die Benachteiligung Behinderter verbieten, werden diese Vorgaben oft übergangen. So haben die Ministerialbeamten und Parlamentarier bei den Arbeitsmarktreformen deren Situation nicht berücksichtigt, kritisiert der Deutsche Behindertenrat (DBR). Sie wurde sogar schwieriger. Heute müssen sie zunächst die zuständige Stelle ausfindig machen: Die Bundesagentur kümmert sich um Menschen, die schon gearbeitet und Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben. Für die anderen, die ALG II bekommen, sind die mit Vertretern der Stadtverwaltungen und der BA besetzten Arbeitsgemeinschaften verantwortlich. Die 69 Optionskommunen machen alles alleine. Behinderte Menschen, die nach der Schule oder Universität Arbeit suchen, gelten als ALG-II-Empfänger und sind auf Kenntnisse, Kreativität und Engagement der Arbeitsgemeinschaften angewiesen.

Im Oktober 2000 senkte das Parlament die Verpflichtung der Betriebe und Verwaltungen, mindestens sechs Prozent ihrer Stellen mit schwer behinderten Menschen zu besetzen, auf fünf Prozent. Dadurch ging die Ausgleichsabgabe der Arbeitgeber für die nicht erfüllte Beschäftigungsquote kontinuierlich zurück. Der davon erhoffte Rückgang der Arbeitslosigkeit der Menschen mit Behinderungen lässt bis zum heutigen „Welttag der behinderten Menschen“ auf sich warten. Seit 1993 erinnern die UN an diesem Tag an die Probleme der schätzungsweise 650 Millionen Betroffenen. Keyvan Dahesch

Keyvan Dahesch

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