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Politik: Belgien hebt Völkermordgesetz auf Druck der USA auf

Einige Teile werden in das Strafrecht übernommen / Opfer können künftig nur noch Klage gegen belgische Täter erheben

Brüssel. Kurz nach ihrer Vereidigung hat die neue belgische Regierung unter dem alten und neuen Premierminister Guy Verhofstadt beschlossen, das umstrittene Völkermordgesetz ganz aufzuheben und nur wenige Teile davon in das allgemeine Strafrecht zu übernehmen. Das Gesetz ermöglichte bisher die Verfolgung von besonders schweren Menschenrechtsverstößen ohne Rücksicht darauf, ob Verdächtige, Tatort oder Opfer einen Bezug zu Belgien hatten. Außerdem konnten Opfer direkt Klage erheben und als Nebenkläger vor Gericht auftreten.

Nachdem mehrere irakische Bürger in Brüssel Klage gegen hohe US-Politiker und Militärs eingereicht hatten, hatte die US-Regierung auf Belgien heftigen Druck ausgeübt, das Gesetz aufzuheben. Im April schränkte das belgische Parlament daraufhin das Völkermordgesetz stark ein, so dass US-Bürger de facto nicht mehr Gefahr liefen, belgischen Ermittlungsverfahren ausgesetzt zu werden. Nach wie vor war den USA aber die Möglichkeit für Opfer, direkt Klage zu erheben und als Nebenkläger aufzutreten, ein Dorn im Auge.

US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte offen mit einem Boykott belgischer Nato-Einrichtungen gedroht. Die Regierung in Washington hatte gezielt Gerüchte in der belgischen Presse verbreiten lassen, wonach die USA eine Verlegung des Nato-Hauptquartiers in ein mittelosteuropäisches Land planten.

Mit der Entscheidung vom Wochenende, das Genozidgesetz praktisch abzuschaffen, gab die neue Regierung Verhofstadt offenbar dem Druck der USA nach. Künftig kann so nur noch Klage erhoben werden, wenn ein Bezug zu Belgien besteht – wenn beispielsweise Belgier zu den Opfern oder Tätern gehören. Die direkte Klagemöglichkeit wird ebenso abgeschafft wie die Möglichkeit für Opfer, als Nebenkläger aufzutreten – es sei denn, der Täter ist Belgier oder lebt in Belgien. Die Regierung strebt an, die entsprechenden Gesetzesänderungen noch vor der Sommerpause vom Parlament absegnen zu lassen und sie auch auf anhängige Verfahren auszudehnen. Damit wäre auch das Ermittlungsverfahren gegen den heutigen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon wegen seiner Rolle bei den Massakern in den Beiruter Flüchtlingslagern Sabra und Schatila in den achtziger Jahren ein für alle Mal vom Tisch. Belgien sei damit von einem Vorreiter des internationalen humanitären Völkerrechts zu einem Nachzügler geworden, bedauerte eine Expertin der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch am Montag.

Verhofstadt selbst verteidigte die geplante Novelle vor der Presse. Man habe sie nicht wegen des Drucks der USA beschlossen, sondern weil das Gesetz so oft zu politischen Zwecken missbraucht worden sei.

In Brüssel war in den letzten Tagen auch spekuliert worden, der Druck aus Washington ziele darauf ab, die Wiederernennung von Louis Michel zum Außenminister zu verhindern, der sich in der Irak-Krise als Kriegsgegner und heftiger Kritiker Washingtons profiliert hatte. Michel bleibt jedoch auf seinem Posten, obwohl in Brüssel auch die Rede davon ist, er werde nach den Wahlen zum Europäischen Parlament den bisherigen belgischen EU-Kommissar Philippe Busquin ersetzen.

Klaus Bachmann

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