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Politik: Belgien kämpft mit seinen Bischöfen

Hausdurchsuchungen, Drohbriefe: Der Streit um vertuschte Missbrauchsfälle spaltet das Land – und die Katholiken selbst

Die katholische Kirche Belgiens steht Kopf. Schon seit Monaten schwelt in der belgischen Gesellschaft der Verdacht, dass die Kirche Missbrauchsfällen in der Vergangenheit nicht ordnungsgemäß nachgegangen ist und versucht hat, sie unter den Teppich zu kehren. Bisher waren aber nur verhaltene Stimmen zu hören, und die Kirche hat immer wieder bestritten, Straftaten vertuschen zu wollen.

Nun ist der Konflikt offen ausgebrochen, ausgelöst durch eine Hausdurchsuchung im Bischofspalast in Mechelen, nördlich von Brüssel. Bei der Brüsseler Staatsanwaltschaft ist ein Drohbrief gegen die Ermittler eingegangen, die sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche untersuchen. Eine telefonische Todesdrohung habe der Gründer der Arbeitsgruppe „Menschenrechte in der Kirche“, der ehemalige Priester Rik Devillé, erhalten, berichtete die Zeitung „Het Nieuwsblad“ am Freitag.

Vor einer Woche hatten Polizisten eine Sitzung der belgischen Bischöfe unterbrochen, die Geistlichen mehrere Stunden festgehalten und währenddessen die Gebäude durchsucht. Nach Angaben des belgischen Justizministers suchten sie vor allem nach Dokumenten, die im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche stehen, zum Beispiel nach Briefen von Opfern pädophiler Priester. Die Bischöfe hatten diesen Eingriff der Justiz scharf kritisiert. Sie wandten sich vor allem gegen die Umstände der Hausdurchsuchung und die ihres Erachtens erniedrigende Behandlung der Bischöfe.

Dieser Zwischenfall hat sogar den Papst auf den Plan gerufen. Benedikt XVI. empfing in dieser Woche den belgischen Erzbischof von Brüssel und Mechelen André-Joseph Léonard in Rom zu einer Privataudienz. Details aus der Unterredung wurden nicht veröffentlicht. Der Vatikan gab lediglich bekannt, dass die beiden über die Situation der Kirche in Belgien gesprochen haben. Der Papst hatte die Hausdurchsuchung bedauert und seine Solidarität mit den belgischen Bischöfen bekundet. Der belgische Justizminister dagegen verteidigte den Eingriff der Polizei. „Man hat die Bischöfe während der Hausdurchsuchung völlig normal behandelt und sie war von einem unabhängigen Richter angeordnet worden“, sagte Stefaan De Clerck.

Trotz dieser beschwichtigenden Worte hat die Hausdurchsuchung tiefe Spuren hinterlassen: Anfang dieser Woche ist die Missbrauchskommission der katholischen Kirche in Belgien geschlossen zurück getreten. Das Vertrauensverhältnis zwischen der Kommission und der Justiz sei zerstört, erklärte ihr Vorsitzender. Außerdem könne die Kommission nicht mehr weiterarbeiten, weil die meisten Akten zu den Missbrauchsfällen nun bei der Justiz liegen. Seit 1998 kümmert sich die Kommission, die aus Priestern, aber auch aus Psychologen besteht, um die Opfer von Missbrauchsfällen in der Kirche. Die Kommission war damals unter dem Einfluss der Dutroux-Affäre eingerichtet worden. Marc Dutroux hatte über Jahre hinweg Frauen entführt, missbraucht und ermordet. Sexueller Missbrauch stand plötzlich im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung. Dem konnte sich die Kirche nicht verschließen.

Allerdings gab es immer wieder Kritik an ihrer Arbeit. „Wir haben schon in den 90er Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass den Anzeigen nicht nachgegangen wird. Die Bischöfe haben sich den Opfern verschlossen. Sie wollten vor allem ihre Priester schützen“, sagt Rik Devillé. Er ist selbst katholischer Geistlicher und hat sich über Jahre hinweg auf eigene Faust um Missbrauchsopfer gekümmert. „Lange hat man mir nicht zugehört. Ich bin froh, dass das Missbrauchsproblem nun endlich an die Öffentlichkeit kommt“, sagt er. Nun melden sich auch immer mehr Opfer zu Wort. Sie belasten teilweise noch amtierende und ehemalige Priester und Bischöfe schwer. Lieve Janssens, Vorsitzende der flämischen Arbeitsgruppe „Menschenrechte in der Kirche“ sagt, im Jahr 2000 hätte der damalige Erzbischof Godfried Daneels eine Gruppe von Missbrauchsopfern barsch abgefertigt.

Solche Erfahrungen hat auch Devillé gemacht. Er hat allein in den 90er Jahren über 300 Beschwerden von Opfern bekommen. Nach seiner Schätzung hat die Kirche davon nur etwa fünf Prozent weiterverfolgt. Der Priester hofft, dass nun effektivere Strukturen zur Bestrafung der schuldigen Priester geschaffen werden. Zudem fordert er eine Änderung des bürgerlichen Rechts: Er will die Verjährung für Missbrauchsfälle abschaffen, weil viele Opfer erst Jahre nach den Taten darüber sprechen können.

Ruth Reichstein[Brüssel]

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