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Politik: Belgrad erklärt einseitige Waffenruhe im Kosovo / Washington und London weisen Angebot zurück

BRÜSSEL/BONN (Tsp).Am Tag nach den bislang schwersten Luftangriffen der NATO auf Jugoslawien hat Belgrad am Dienstag einen einseitigen Waffenstillstand in der südserbischen Provinz Kosovo angekündigt.

BRÜSSEL/BONN (Tsp).Am Tag nach den bislang schwersten Luftangriffen der NATO auf Jugoslawien hat Belgrad am Dienstag einen einseitigen Waffenstillstand in der südserbischen Provinz Kosovo angekündigt.Die NATO reagierte mit Zurückhaltung auf die Ankündigung, die ab Dienstag abend um 20 Uhr gelten sollte.In Erklärungen der jugoslawischen und serbischen Regierung hieß es nach Angaben des Belgrader TV-Senders Studio B, die Armee- und Polizeieinheiten würden anläßlich der orthodoxen Osterfeiertage ihre Aktionen gegen die bewaffneten Albaner einstellen.In einer ersten Reaktion hieß es aus NATO-Kreisen in Brüssel, die Allianz verlange noch immer, daß die jugoslawischen Streitkräfte den Kosovo verlassen müßten und Präsident Slobodan Milosevic die Forderungen des Westens erfüllen müsse.Auch die USA und Großbritannien reagierten ablehnend auf das Angebot eines einseitigen Waffenstillstands.

"Wir sind nicht an halbherzigen Maßnahmen interessiert", sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Joe Lockhart, am Dienstag.Milosevic müsse alle Forderungen der NATO erfüllen.Zuvor hatte auch US-Präsident Bill Clinton bekräftigt, daß Milosevic die Luftangriffe der NATO nur stoppen könne, wenn er seine Truppen abziehe und sich bereit erkläre, den Kosovo-Albanern ein sicheres Leben in Autonomie zu bieten.

Ein Sprecher des britischen Premierministers Tony Blair sagte in London zu dem jugoslawischen Angebot: "Es geht bei weitem nicht weit genug.(Der jugoslawische Staatspräsident Slobodan) Milosevic weiß, was er tun muß, und dies bleibt weit dahinter zurück."

In der Erklärung der Regierung in Belgrad hieß es: "Um das höchste christliche Fest, Ostern, zu feiern, werden alle Aktionen von Armee und Polizei gegen die terroristische Organisation UCK ab dem 6.April um 20 Uhr gestoppt." In der Erklärung wurde auch angeboten, eine "vorübergehende Vereinbarung" mit dem gemäßigten politischen Führer der Albaner, Ibrahim Rugova, zu erreichen, die Grundlage für eine "endgültige Vereinbarung" über das Kosovo "innerhalb Serbiens und Jugoslawiens" sein solle.Weiter hieß es, die Regierung werde sich für die Rückkehr der 400 000 Kosovo-Albaner in die Provinz einsetzen, die seit Beginn der NATO-Luftangriffe am 24.März aus dem Kosovo geflohen sind.

Die NATO hatte zuvor angekündigt, sie wolle ihre Luftangriffe auf Ziele in Jugoslawien auch dank besserer Wetterbedingungen intensivieren.Um effektiver gegen serbische Panzer und Artillerie in der südserbischen Provinz vorgehen zu können, planen die USA außerdem den Einsatz von 24 Kampfhubschraubern vom Typ "Apache", die in Albanien stationiert werden sollen.Tirana gab dazu am Dienstag seine Erlaubnis.

Die USA haben in Aussicht gestellt, binnen zehn Tagen zwei Dutzend der "Panzerkiller" genannten Kampfhelikopter von Deutschland nach Albanien zu verlegen.Mit ihnen sollen 2000 Soldaten in Albanien stationiert werden.Ebenfalls von Albanien aus sollen Raketensysteme kurzer und mittlerer Reichweite den serbischen Truppen im Kosovo Einhalt gebieten.Der geplante Einsatz der "Apaches" hat die Debatte über die Notwendigkeit, in die Aktion auch Bodentruppen einzubeziehen, weiter angeheizt.

Bereits in der Nacht zum Dienstag hatten NATO-Kampfflugzeuge, begünstigt durch die Wetterverhältnisse, die bisher schwersten Angriffe geflogen.Die NATO in Brüssel berichtete am Morgen von erfolgreichen nächtlichen Angriffen auf militärische Objekte, Brücken und Kommunikationseinrichtungen, ohne daß es eigene Verluste gegeben habe.Belgrad meldete unter anderem den Beschuß von Industrieanlagen in Pancevo und die Beschädigung der einzigen Eisenbahnbrücke über die Donau bei Novi Sad, aber auch erneut Angriffe auf zivile Ziele.So wurden nach einem Bericht des serbischen Staatsfernsehens mehrere Wohnhäuser in der Ortschaft Aleksinac von vier Raketen getroffen.Sieben Menschen starben, mehr als 30 wurden teils schwer verletzt.

Die NATO räumte am Dienstag ein, daß vermutlich eine fehlgeleitete Bombe das Wohngebiet südlich von Belgrad getroffen hat."Es ist möglich, daß solch ein seltener Fehler geschah", sagte NATO-Militärsprecher David Wilby am Dienstag in Brüssel.Die Allianz wisse von Schäden in 600 Metern Entfernung von dem anvisierten Ziel.Zuvor sagte er, die nächtlichen Angriffe hätten "gute Ergebnisse" erzielt.Es ist das erste Mal seit Beginn der NATO-Angriffe am 24.März, daß das Bündnis offiziell zumindest indirekt Opfer in der Zivilbevölkerung einräumt.

Laut einem Sprecher des US-Verteidigungsministeriums sollte die Bombe eigentlich eine Kaserne in Aleksinac treffen.Einem jugoslawischen Offizier zufolge wurden statt dessen Dutzende von Häusern zerstört.Jugoslawische Medien hatten zuvor berichtet, bei dem Angriff auf die 200 Kilometer südlich von Belgrad gelegene Stadt seien fünf Menschen getötet worden.

In Genf sagten bei einer Sonderkonferenz des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) 56 Länder weitere Hilfe für die Kosovo-Vertriebenen zu.In Mazedonien, an dessen Grenze zum Kosovo sich eine 20 Kilometer lange Warteschlange gebildet haben soll, begannen NATO-Truppen mit dem Bau eines Lagers für 15 000 Flüchtlinge.Die Lufttransporte für Kosovo-Vertriebene in die Länder der Europäischen Union (EU) werden an diesem Mittwoch beginnen.In Deutschland werden die ersten am Mittwoch erwartet.Schlepper setzten wieder Kosovo-Flüchtlinge an den Küsten Italiens aus.

In den europäischen Staaten hielt ungeachtet der grundsätzlichen Bereitschaft die Diskussion darüber an, ob die Aufnahme von Flüchtlingen Milosevic bei seiner Vertreibungsstrategie unterstütze.Der albanische Staatspräsident Rexhep Meidani plädierte dafür, die Vertriebenen in den Nachbarstaaten aufzunehmen und nicht in weiter entfernt liegende Länder zu bringen.

Die Bundesregierung will unterdessen Rußland weiterhin eng in alle Versuche einbinden, eine Friedenslösung für den Kosovo zu finden.Bundesaußenminister Joschka Fischer hält nach eigenen Angaben deshalb auch engen Kontakt zu seinem Moskauer Amtskollegen Iwanow.Am heutigen Mittwoch soll auf Beamtenebene ein Treffen der Außenminister der G8-Staaten vorbereitet werden, um nach weiteren Lösungsmöglichkeiten zu suchen.Der Außenminister skizzierte drei "Körbe" zur Stabilisierung der Region nach einem Kriegsende: So müsse eine Sicherheitsgarantie für alle Staaten und Völker in diesem Raum gegeben und die wirtschaftliche Entwicklung so vorangetrieben werden, daß der Balkan in zwei bis drei Jahrzehnten zur EU aufschließen könne.

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