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Politik: „Belgrads Herrschaft über das Kosovo ist vorbei“

Premier Kosumi glaubt, dass Unabhängigkeit des UN-Protektorats auch die Stellung der serbischen Minderheit verbessern würde

Herr Kosumi, der UNSonderbeauftragte für das Kosovo, der Norweger Kai Eide, kritisiert in seinem aktuellen Bericht die Zustände in der Provinz ausgesprochen scharf. Was sagen Sie dazu?

Sie wundern sich vielleicht, aber ich habe mich persönlich bei Eide bedankt, denn er zeichnet ein realistisches, aber auch optimistisches Bild vom Fortschritt im Kosovo. Wir haben hier mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft seit Sommer 1999 Institutionen und Behörden von null an aufbauen müssen – eine sehr schwere Aufgabe. Dass es Probleme wie Korruption und ethnische Spannungen gibt, wollen und dürfen wir nicht leugnen. Am wichtigsten ist mir Kai Eides Erkenntnis, dass das Kosovo jetzt ohne einen eigenen Status nicht weiter vorankommt, und dass UN-Generalsekretär Kofi Annan sich diesem Urteil anschließt. Wir brauchen endlich eine Perspektive für unseren Prozess, hier scheint sie deutlich auf. Weder unsere Nachbarn noch wir selbst können beruhigt sein, solange wir im politischen Niemandsland verharren. Auch Investoren brauchen diese Sicherheit: Sie müssen wissen, was wir, wer wir sind.

Die Perspektive ist Unabhängigkeit?

In der Tat. Eide spricht zwar nicht direkt über die Qualität eines künftigen Status – er hat auch keine Zauberformel parat. Aber er erklärt sehr offen, dass die Internationale Gemeinschaft uns nicht auf ewig mitverwalten kann, dass wir Selbstbestimmung brauchen. Bei den Statusgesprächen, die bald beginnen sollen, wird es um einen Prozess gehen, und wir als Verhandlungsteam müssen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung respektieren und repräsentieren. Dieser Wille heißt Unabhängigkeit. Mein Hauptargument ist also: Das Recht auf die Bestimmung des Status hat die kosovarische Bevölkerung.

Das Kosovo ist Treuhandgebiet der UN, deren Unmik-Verwaltung Ihre Regierung begleitet. Aber auf dem Papier ist das Kosovo noch immer eine südserbische Provinz …

Es ist uns klar, dass Serbien hier einige Rechte besitzt, dass wir Kompromisse machen müssen. Dazu gehört der unbedingte Schutz von serbischem Kulturerbe, von mittelalterlichen, orthodoxen Klöstern und Kirchen zum Beispiel. Auch wollen wir der serbischen Minderheit geben und bieten, was sie braucht: kulturellen und politischen Schutz, Menschenrechte, Bürgerrechte, volle Partizipation am öffentlichen Geschehen, Integration. Das ist unser Ziel.

All das ist bislang nicht ganz der Fall, etwa in der ethnisch geteilten Stadt Mitrovica und in den serbischen Enklaven. Da verwenden Serben den Dinar statt des Euro, Ihrer Landeswährung. In den Schulen lehrt man nach serbischen Lehrplänen, an Verwaltung und Politik beteiligen sich nur wenige Serben aktiv.

Ja, mir ist bewusst, dass viele der bei uns lebenden Serben heute von Belgrad instrumentalisiert werden. Doch nach der Unabhängigkeit des Kosovo wird Serbien es nicht mehr nötig haben, die hier lebende Minderheit zu manipulieren. Diese wird sich dann viel besser und friedlicher integrieren können. Im Übrigen liegt in diesem Prozess auch eine große Chance für Serbien selbst, sich freier und konstruktiver mit seiner Vergangenheit und Zukunft sowie mit seinen Nachbarn zu beschäftigen. Die Realität ist – und das weiß man, glaube ich, auch in Belgrad, Brüssel oder Washington – dass die Herrschaft von Belgrad über das Kosovo vorüber ist. Es gibt hier und jetzt schon Serben, die gerne Teil des Fortschritts in einem neuen, demokratischen und multiethnischen Kosovo sein wollen, aber noch werden sie eingeschüchtert. Nach der Klärung des Status können sie kooperieren, da bin ich sicher.

Greifen Sie damit nicht weit voraus?

Ich glaube nicht. Ich bin davon überzeugt, dass die internationale Diplomatie, die dem neuen Prozess zur Seite steht, nun begriffen hat, dass man die seelischen und politischen Bedürfnisse der Menschen nicht völlig außer Acht lassen darf. Wir können nicht länger auf der Wartebank der Geschichte sitzen, das hat man verstanden. Zu den konkreten Maßnahmen, die wir vorschlagen, gehört eine dezentralisierte Struktur der Landes: Serben sollen in ihren Ortschaften ein Gutteil an Selbstbestimmung erhalten. Doch wir werden alle auf dem Boden derselben Demokratie wohnen, die wichtiger ist, als jede ethnische Differenz. Schon jetzt ist Serbisch ja unsere zweite Amtssprache, so soll es bleiben, und noch viel selbstverständlicher werden, für uns alle im Land.

Das Gespräch führte Caroline Fetscher.

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