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Politik: Beliebt bei der breiten Masse, verhasst bei Fundamentalisten

Sayeeda Warsi ist die erste Muslimin in einem britischen Kabinett – als Generalsekretärin soll sie den Tories ein moderneres Gesicht geben

Der britische Premierminister David Cameron kam ins Schwitzen, als er bei der Regierungsbildung in der zurückliegenden Woche die Frauenquote erfüllen musste. Die Liberaldemokraten, die er ins Koalitionsboot nehmen musste, hatten nichts anzubieten. So sah alles ziemlich graublau aus, als das Gruppenfoto im Garten der Downing Street aufgenommen wurde: 26 Männer in Anzügen, nur vier Frauen. Aber Sayeeda Warsi machte alles wett. Die erste muslimische Frau in einem britischen Kabinett stand vorne im Sari.

Als sie den Amtssitz des britischen Premierministers verließ, waren die Fotografen aus dem Häuschen. Bereitwillig hängte sie den Mantel ans Eisengeländer und posierte vor der berühmten Tür in der Downing Street. „Wenn man als Tochter eines eingewanderten Textilarbeiters in Yorkshire geboren ist und dann in einer so wichtigen Zeit für Großbritannien im Kabinett sitzen darf, wird man ganz kleinlaut“, sagte sie.

Die 39-Jährige ist weder Mauerblümchen noch Farbtupfer. Dass sie mit keinem Wort darauf hinwies, dass sie Muslimin ist, hat Methode. Es ist für sie eine Selbstverständlichkeit und soll es für alle anderen auch sein. Sie hält es dabei mit katholischen Abgeordneten, die in Großbritannien auch von niemandem mehr für Verschwörer gehalten werden – im Gegensatz zu früheren Zeiten.

Weil Sayeeda Warsi so normal ist und auf „common sense“ setzt, ist sie nicht nur Großbritanniens bekannteste, sondern wohl auch beliebteste Muslimin geworden. Diese Popularität dürfte den Anlass geliefert haben, dass sie im Wahlkampf in Luton mit Eiern beworfen wurde – von fundamentalistischen Muslimen, die der Patriotin vorwarfen, den Tod von Muslimen in Afghanistan zu unterstützen.

Die politische Karriere der Rechtsanwältin Sayeeda Warsi begann 2005, als sie im Wahlkreis Drewsbury bei der Unterhauswahl kandidierte. Sie verlor gegen den Labour-Kandidaten Shahid Malik, ebenfalls ein Muslim. Cameron schickte sie ins Oberhaus und machte sie zur Schattenministerin für „Kommunen und Gemeinschaften“, denn Warsi war unverzichtbar geworden für seinen Versuch, die Tories toleranter, multiethnischer, offener – eben moderner zu machen. Jetzt ist sie „Chairman“ der Partei – so viel wie Generalsekretärin, mit Kabinettsrang.

Shahid Malik wurde nach dem Labour-Wahlerfolg des Jahres 2005 Staatsminister. Er geht im Gegensatz zu Sayeeda Warsi ernst mit der Tatsache um, dass er Muslim ist. Vor zwei Jahren zählte er in London vor Zehntausenden von Muslimen beim „Global Peace and Unity Event“ stolz auf, wie weit Muslime es in Großbritannien schon gebracht haben. „1997 hatten wir unseren ersten muslimischen Unterhausabgeordneten. 2002 hatten wir zwei. 2005 vier. 2009 werden es, Inschalla, acht und 2014 sechzehn sein. Mit diesem Tempo wird einmal das ganze Parlament muslimisch, und in 30 Jahren werden wir einen muslimischen Premier haben“, rief er. Großbritanniens Rechtsextremisten rieben sich in freudigem Hass die Hände.

Malik irrte sich nur im Termin der Wahl. Sie fand bekanntlich 2010 statt – und er wurde abgewählt. Aber tatsächlich gibt es jetzt acht muslimische Abgeordnete.

Nicht alle sehen diese Entwicklung gelassen. Der Sender „Channel 4“ untersuchte im März den Einfluss des „Islamic Forum of Europe“ (IFE), eine im Osten Londons aktive Gruppe, die Großbritannien in einen Scharia-Staat verwandeln möchte. Die Gruppe habe, so beklagte der Labour-Abgeordnete Jim Fitzpatrick in dem Programm, seine Partei unterwandert wie einst die Trotzkisten.

Warsis Spezialität besteht darin, dass sie bei den Muslimen so viel Furore macht wie bei den Nichtmuslimen. Mit 19 Jahren heiratete die gebürtige Britin einen Cousin. 17 Jahre hielt die Verbindung, und die Zeitungen stritten, ob es eine „arrangierte Ehe“ war. Als sie sich 2009 scheiden ließ und wieder heiratete, behaupteten Muslime, sie habe ihren neuen Mann dessen Frau ausgespannt, die kein Englisch könne und die Scheidungsprozedur nicht verstanden habe.

Warsi setzt sich über solche Kontroversen souverän hinweg. Sie wird zu Hilfe geholt, wenn man bodenständige Vernunft braucht. Als der britische Neofaschist Nick Griffin vor der Europawahl im vergangenen Jahr zum ersten Mal an der BBC-Sendung „Question Time“ teilnehmen durfte, wurde sie aufs Podium geholt. Nüchtern formulierte sie, was die meiste Briten dachten. „Einwanderung ist ein Problem, seien wir ehrlich. Viele Menschen finden, dass sich unsere Kommunen zu schnell verändern“, meinte Warsi. Dann wies sie Griffin in ihrem warmen Yorkshire-Akzent kalt in seine Schranken: „Der Hassprediger Abu Hamzu bringt den Islam in Verruf und hat nichts Islamisches an sich. Griffin bringt mit seinem Extremismus das Christentum in Verruf. Da ist kein Unterschied.“

Matthias Thibaut

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