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Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig Holstein.

© REUTERS

Berlin-Reinickendorf: Daniel Günther - ein Gast wie aus einer anderen Welt

Die CDU in Reinickendorf ist eigentlich immer ein bisschen im Kampfmodus. Jetzt empfängt sie den Ministerpräsidenten aus Schleswig-Holsteins. Ausgerechnet.

Zwischen Tegel und dem Regierungsviertel liegen 14 Kilometer und eine Welt. In der Mitte Berlins hat die Bundeskanzlerin, die in wenigen Tagen als CDU-Vorsitzende abtritt, am Mittwoch-Vormittag vor dem Bundestag noch einmal ihre politischen Grundsätze erläutert. In die Tegeler See-Terrassen, in denen pralles Leben herrscht, Tanz und Gesellschaft, volles Speiserestaurant, hat am Abend die Reinickendorfer CDU zu ihrem 57. Tegeler Gespräch eingeladen, in den größten Saal.

Anders als im Bund ist in Reinickendorf die CDU eine ihrer Kraft gewisse Macht. Sie hat bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus alle sechs Direktmandate errungen und wird selbstbewusst von Dirk Steffel als Vorsitzendem geführt, dem rein physisch schon einmal großen Bruder des örtlichen Bundestagsabgeordneten Frank Steffel. Der verkündet stolz, dass man gerade 98 neue Mitgliedsanträge entgegen genommen hat. Merkels Abgang und die Dreier-Kandidaten-Kür erzeugen Aufbruchstimmung, keine Frage. Andere Parteien sehen’s voller Neid.

Reinickendorfs CDU, die eigentlich immer ein bisschen im Kampfmodus ist, hat an diesem Abend einen leibhaftigen CDU-Ministerpräsidenten eingeladen, der wie aus einer anderen Welt zu kommen scheint. Daniel Günther, Regierungschef in Kiel, führt geräuschlos und erfolgreich dort eine Jamaika-Koalition, also jenes Bündnis, das Christian Lindner im Bund hat krachend scheitern lassen. Und Daniel Günther erklärt nun, warum Jamaika ein Vorbild nicht nur für andere Bundesländer, sondern auch für den Bund und sein kann. Da passt es, dass der Reinickendorfer Shanty-Chor aus vielen schönen dunklen Männerstimmen gerade gesungen hat „Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise“.

Das tut Kapitän Günther so, dass den mehr als 150 Anwesenden die Ohren vom Fahrtwind rauschen. Denn dieser 45-jährige, ein eher zurückhaltender, nüchterner, fast schlacksiger jugendlicher Typ, hat ein Erfolgsrezept, das so ganz anders ist als das der Berliner CDU – was nicht nur für Reinickendorf gilt. Daniel Günther hat klare Ansichten, aber fährt nicht aus Prinzip Attacke. Wir reden nicht schlecht übereinander in der Koalition aus CDU, FDP und Grünen, erklärt er zum Teil deren Erfolg. Und wir lassen uns unsere Gewinnerpunkte, unsere politischen Essentials, nicht nehmen, macht er klar, denn die Leute wüssten schon ganz genau, ob da gerade über eine Sache gestritten wird, oder nur, um den anderen nieder zu machen.

Flüchtlinge und Migration

Flüchtlinge und Migration sind wichtige Themen, ja, auch in Schleswig-Holstein. Aber, und da überrascht er seine Zuhörerinnen und Zuhörer doch, er bekommt viel mehr zornige Briefe darüber, dass gut intergierte Asylsuchende abgeschoben würden, weil ihre Fluchtgründe nicht akzeptiert wurden, als Forderungen danach, endlich strenger abzuschieben. Das freilich will er auch, und klagt, dass es oft schwierig sei wegen der Rechtslage. Aber da dürfe man eben nicht jammern, sondern an der Sache bleiben. Und auch das gefällt nicht allen Zuhörern: Er ist für den „Spurwechsel“, dafür, dass Geflüchtete bleiben dürfen, wenn sie Deutsch gelernt haben, einen Beruf ausüben.

Wir brauchen diese Menschen, sagt er, und provoziert dann das Publikum: Wenn wir keine Einwanderung wollen, aber unseren Wohlstand halten, muss jede deutsche Frau sieben Kinder bekommen. Und die Dublin-Regelung, nach der Flüchtlinge in dem EU-Land registriert werden und erst einmal bleiben, das sie zuerst betreten haben, verlagerte doch das Problem auf Italien und Griechenland, erst im Sommer 2015 hätten auch die Deutschen begreifen müssen, dass das so nicht geht.

Es war eine Sechzig-Minuten-Parforce-Tour durch christdemokratisches Selbstverständnis und deren Zweifel. Man kann es auch ein Aha-Erlebnis nennen. In der Medizin hat Recht, wer heilt. In der CDU, wer Wahlen gewinnt? Es war ein lehrreicher Abend, das Publikum war erkennbar berührt.

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