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Was wird Gründungsintendant Neil MacGregor aus dem Humboldt-Forum machen? MacGregor beim Rundgang durch den Rohbau Anfang Mai.

© Stephanie Pilick/dpa

Berlin und Kultur: Das Humboldt-Forum muss erst noch erfunden werden

Debatten und Diskurse gibt’s in Berlin bereits im Überfluss. Das Humboldt-Forum muss also mehr werden als ein weiterer Diskussionsraum. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Gerade hatte die neue alte Schlosshülle des künftigen Berliner Humboldt-Forums Richtfest, und im Juli feiert die Kasseler Documenta ihren 60. Geburtstag. Im Rohbau existiert vom Berliner Humboldt-Forum naturgemäß nur die emphatische Idee, während es die Documenta nur alle fünf Sommer lang gibt: beim nächsten (14.) Mal vom 10. Juni bis 17. September 2017. Das Jubiläum außer der Reihe liegt am früher vierjährigen Turnus, es wird dennoch mit Sonderausstellungen und Symposien zelebriert werden. Denn die Documenta ist trotz aller Biennalen, Triennalen, Messen und Kulturevents der Gipfel des Genres: die bedeutendste Kunstausstellung der Welt.

Das Humboldt-Forum steht in der Tradition der Documenta

Vereinfacht gesagt: Ohne die Documenta gäbe es in Berlin auch kein Humboldt-Forum. Nicht die Idee eines Forums, das Künste, Kulturen, Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und (Zeit-)Geschichte historisch und zugleich aktuell verbinden will. Als die von Arnold Bode gegründete erste Documenta am 15. Juli 1955 eröffnete, bereitete man vor allem der von den Nazis bekämpften klassischen Moderne, dem als „entartet“ verfemten Expressionismus und Kubismus die Bühne. In der Mitte Deutschlands, die noch im einstigen „Zonenrandgebiet“ lag, begann so ein Kulturbruch zumindest symbolisch zu heilen. Und spätestens 1972 und ’77, bei den legendären Documentas 5 und 6, triumphierte in Kassel die neueste Weltkunst: Fluxus, Pop-Art, Happening, Fotorealismus, Konzept-Kunst, Performance, Video, Land-Art, Laserinstallationen im offenen Raum – die Documenta inszenierte sich und ihre hunderttausenden Besucher an immer mehr Orten. Aktiv, interaktiv, multimedial.

Alle traditionell musealen Darbietungsweisen, Bilder an Wänden, Skulpturen davor, der Rest in Vitrinen, waren da überholt. Aber hinzu kamen, als Reflex auch der Protestbewegungen der 68er: Diskussionen, Debatten, Symposien – mit der Hoffnung auf eine Vermischung von Kunst und Leben, von ästhetisch-politischer Theorie und gesellschaftlicher Praxis.

Beuys wäre ein wunderbarer Gründungsintendant gewesen

Joseph Beuys („Jeder Mensch ist ein Künstler“) steht dafür beispielhaft. 1972, auf der Documenta 5, etablierte der rheinische Kunstguru als „Soziale Plastik“ an den hundert Ausstellungstagen ein rund um die Uhr geöffnetes Büro der „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“. Und fünf Jahre später war Beuys mit seiner durch raumweite Leitungen pulsierenden „Honigpumpe“ die neuerliche Attraktion, zumal er seiner ökologisch-ökonomisch eindrucksvollen Installation gleich eine permanent tagende „Free International University“ angeschlossen hatte.

Schade, dass Beuys nicht mehr lebt. Man hätte ihn sich nun wunderbar vorstellen können als provozierendes, nervend und betörend anregendes Mitglied der jüngst berufenen „Gründungsintendanz“ des Berliner Humboldt-Forums. Neben den ins Schloss einmal einziehenden außereuropäischen (ethnologischen) Sammlungen der Staatlichen Museen, neben Berliner Bibliotheken und einer Wunderkammer mit Asservaten der Humboldt-Uni steht das eigentliche „Forum“, griechisch „Agora“ genannt, noch in den gedanklichen Sternen. Aber eine von Kunst, Geschichte und Wissenschaft inspirierte „Free International University“ soll das Humboldt-Forum als „Wissenstheater“ auch irgendwie werden.

Noch mehr "Wissenstheater", jetzt auch hinter barocker Fassade?

Im Prinzip sind das gute Aussichten. Es kann ja nie schaden, wenn über die Zusammenhänge der Welt auch und gerade im Schein der schönen Künste nachgedacht wird; wenn man mit Blick auf die Sammlungen aus Afrika oder Ozeanien einen Humboldt’schen Forscher- und Pioniergeist wachrufen will, aber auch der Schatten jener europäischen Kolonialgeschichte weltoffen gedenken möchte, die auf den Sammlungen in Berlin wie denen in London, Paris oder Brüssel ruhen.

Das ist ein weites Feld. Allerdings bestellen es in einer Ära der inszenierten Debattenkultur bereits unzählige andere Institute. In Berlin sind es die Festspiele, das Haus der Kulturen der Welt, die Akademie der Künste und die der Wissenschaften, dazu sämtliche Theater mit ihren diskursiv-performativen Extraveranstaltungen, plus Festivals, Symposien, Events ohne Ende. Der große Literaturwissenschaftler George Steiner nannte diesen Überhang der Debatten- und Interpretationskultur im Reich der Künste einmal: den „Triumph des Sekundären“. Das Originale braucht dann eher mal Stille, Konzentration, Innehalten. Neil MacGregor, der Gründungsintendant des Humboldt-Forums, wird Steiner gewiss gelesen haben.

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