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Politik: Berliner Reformergipfel: Das Strategie-Treffen zeigt etwas Neues - Politik denkt über sich selbst nach (Kommentar)

Wirklich nicht ohne Ehrgeiz, die vierzehn Regierungschefs aus fünf Kontinenten, die sich Berlin in die Hand versprochen haben, künftig die internationalen Finanzmärkte zu regulieren. Ganz originell ist ihre Idee nicht; die Erkenntnis, dass in der globalisierten Welt Kräfte am Werk sind, die politisch gebändigt werden sollten, ist in Berlin nicht zum ersten Mal formuliert worden.

Wirklich nicht ohne Ehrgeiz, die vierzehn Regierungschefs aus fünf Kontinenten, die sich Berlin in die Hand versprochen haben, künftig die internationalen Finanzmärkte zu regulieren. Ganz originell ist ihre Idee nicht; die Erkenntnis, dass in der globalisierten Welt Kräfte am Werk sind, die politisch gebändigt werden sollten, ist in Berlin nicht zum ersten Mal formuliert worden. Hat der Berliner Gipfel diesen guten Absichtserklärungen nur eine weitere hinzugefügt?

Die Antwort lautet: Ja. Aber. Ja, weil das Kommunique keinen neuen, präzisen realpolitischen Schritt zum Thema Finanzmärkte angibt. Das wissen die vierzehn Unterzeichner selbst am allerbesten. Aber, weil ein Urteil über Sinn oder Unsinn der Berliner Konferenz Urteil damit nicht gesprochen ist. Nichts anderes hat die Vierzehn zu diesem Treffen geführt als die gemeinsame Erfahrung, dass ihre politischen Instrumente in der globalisierten Welt stumpf geworden sind. Das gilt längst nicht mehr nur für die klassische sozialdemokratische Verteilungspolitik, der in diesem Kreis ohnehin keiner mehr anhängt. Es gilt auch für die "Modernisierer", voran die Briten und Amerikaner, die Grenzen und Tücken von Deregulierung und Privatisierung schon zur Kenntnis nehmen mussten, als die Deutschen und Franzosen noch nicht einmal damit begonnen hatten.

Der erste Sinn der Berliner Konferenz liegt darin, dass sie eine gemeinsame Bilanz aus den unterschiedlichen Wegen der Mitte-Links-Regierungen gezogen hat. Wie sieht sie aus, die Momentaufnahme des Jahres 2000? Ein Repräsentant der Globalisierungs-Skeptiker, Lionel Jospin, spricht für alle den Satz: Die Globalisierung ist eine Tatsache. Und Bill Clinton, der stets ihre Chancen betont hat, sagt für alle: Wir wollen ihr ein menschliches Antlitz geben.

Die Mächtigen sind bescheiden geworden - und entwickeln gerade daraus einen neuen Ehrgeiz. Denn die Berliner Konferenz hat einen zweiten, wichtigeren Sinn. Sie ist ein Anfang. Über "das Regieren" systematisch, in internationalem Rahmen, mit Hilfe von Wissenschaft und langfristig orientierter Politikberatung nachzudenken - das ist historisch ohne Vorbild.

Alle vorhandenen internationale Strukturen und Institutionen folgen gewissermaßen einem politischen Sachauftrag: der Vermeidung von Gewalt, der Organisation von Wirtschafts- und Handelsbeziehungen oder dem Austausch von Wissenschaft und Forschung. In Berlin und bei den Folgetreffen soll es um die Politik selbst, um das Regieren gehen. In Berlin haben Wissenschaftler den Regierungschefs vorgetragen, dass hinter jedem neuen Schritt, jeder neuen Idee gleich deren Widerlegung, zumindest das nächste Problem lauern könnte. Schön, die Vorstellung, dass moderne Staaten einen Teil ihrer Aufgaben an die "Zivilgesellschaft" delegieren könnten. Aber eine mobilisierte Bürgergesellschaft, so die Wissenschaft, wird ihrerseits Ansprüche an den Staat geltend machen. Und zudem: Eine selbstbewusste Bürgergesellschaft, so lehrt alle Erfahrung, gibt es nur, wenn Staat und Politik stark, nicht, wenn sie orientierungslos sind. Sicher wissen wir alle, sagen die Wissenschaftler, dass das Staatswesen dereguliert werden muss. Doch Individualisierung und Altersentwicklung führen zwangsläufig zum gegenteiligen Trend: zu mehr Staat und mehr Sozialtransfers.

Das alles kennt man. Aus Denkfabriken und Strategiedebatten. Neu ist die Verknüpfung von Spitzenpolitikern, Wissenschaft und Beratern. Nachdenken nicht nur bis zu nächsten Wahl, sondern über die eigenen Grenzen und Zeithorizonte hinaus - das Experiment hat ganz entschieden Reiz.

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