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Politik: Berliner Reformergipfel: Jetzt sind Schröder und Jospin Wortführer im Club der Mitte-links-Strategen

Der Gastgeber verzog streng das Gesicht. Warum Tony Blair nicht nach Berlin gekommen sei, habe ganz einfach menschliche Gründe.

Der Gastgeber verzog streng das Gesicht. Warum Tony Blair nicht nach Berlin gekommen sei, habe ganz einfach menschliche Gründe. "Sein Baby, keinen anderen", bemühte sich Gerhard Schröder am Ende des großen Ratschlags mit den 13 anderen Größen aus aller Welt um Klarstellung: "Angebliche inhaltliche Auseinandersetzungen sind erfunden."

Doch nicht alle überzeugte die familienfreundliche Kanzler-Erklärung. Zweifel bleiben, ob das offizielle Motiv - die Vaterschaftspause - die einzige Ursache für Blairs kurzfristiges Fernbleiben vom Berliner Strategie-Gipfel war. Genau ein Jahr nach dem gemeinsam mit Schröder vorgelegten Manifest über die Erneuerung der europäischen Sozialdemokratie ist Blairs Stern am Firmament der linken "Erneuerer" ziemlich verblasst. Sein Kurs hat bislang nicht die versprochenen Ergebnisse gebracht. Der "Blair-Effekt" habe sich ziemlich verbraucht, hieß es am Rande der Tagung.

In Berlin stand der von Blair geprägte "Dritte Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus auf dem Index. Nur Bill Clinton verstieß gegen diese Regel: "Ich halte an diesem Begriff fest", erklärte der US-Präsident auf der Abschlusspressekonferenz: "Aber wichtiger als Etiketten sind die Inhalte", fügte er versöhnlich hinzu.

Clinton nahm die ganze Veranstaltung acht Monate vor dem Rückzug ins Privatleben ohnehin offenbar nicht mehr ganz so ernst. In fast schon provozierender Manier ließ der noch mächtigste Mann der Welt bei allen Auftritten an der Spree seine Amtskollegen warten. Dem sichtlich vergrätzten Kanzler schienen vorübergehend die Elogen, mit denen er "den lieben Bill" bei der Karlspreisverleihung in Aachen überschüttet hatte, nachträglich fast Leid zu tun.

Selbstbewusst übernahm der Gastgeber die Rolle des Wortführers in dem "globalen Club" (Schröder), allerdings in recht harmonischer Arbeitsteilung mit Lionel Jospin. Der Premier von der Seine, der vor einem Jahr fast einen ideologischen Bannstrahl gegen Schröder wegen des Papiers mit Blair ausgestoßen hätte, fand dieses Mal nur Lob für den Kanzler. Das herzliche gegenseitige Schulterklopfen sollte vor aller Welt demonstrieren, dass beide nach dem anfänglich mehr als unterkühlten Verhältnis inzwischen einen engen Draht zueinander gefunden haben.

Ganz hervorragend fand Jospin auch Schröders Idee, den bislang eher elitären Mitte-Links-Verein um politische Wahlverwandte aus weit entfernten Ländern zu erweitern. Doch die blieben in Berlin jedenfalls noch weitgehend in der Statistenrolle. Die drei angereisten Präsidenten aus Südamerika mühten sich redlich, auch zu Wort zu kommen. Die neuseeländische Regierungschefin Helen Clark durfte nach der langen Reise wenigstens eine Frage bei der Pressekonferenz beantworten. Beim kanadischen Kollegen Jean Chrétien fiel kaum auf, dass er überhaupt da war.

Erwartungen, dass viel Konkretes dabei herauskommt, hatte Schröder selbst schon vor der Konferenz gedämpft. Den eher allgemein gehaltenen Zielen im schon vor Konferenzbeginn festgezurrten Schlusskommuniqué, das in enger Abstimmung mit Paris formuliert worden war, konnten alle Teilnehmer zustimmen. Von einem "guten Anfang" und durchaus bedenkenswerten Anstößen war in Delegationskreisen hinterher die Rede. Es habe sich durchaus gelohnt, einmal über neue Spielregeln für die entfesselte Globalisierung nachzudenken.

Joachim Schucht

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