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Barbara Slowik will ihre Leute nicht anweisen, mit Zollstock und Stoppuhr die Parks zu kontrollieren.

© Kai-Uwe Heinrich

Berlins Polizeipräsidentin über die Corona-Krise: „Haben enorme Rückgänge bei bestimmten Straftaten“

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik erklärt, welche Straftaten abnehmen und was ihr derzeit am meisten Sorgen bereitet. Ein Interview.

Frau Slowik, wir sitzen hier in Ihrem Dienstzimmer, diagonal um den großen Besprechungstisch verteilt. Wie sicher sind Sie, dass Sie nicht selbst infiziert sind?
Gerade ziemlich sicher. Ich hatte Anfang der Woche Symptome und mich deshalb testen lassen. Der Test war negativ.

Wie schließen Sie aus, dass sich Ihr gesamter Krisenstab gegenseitig ansteckt?
Unseren 35-köpfigen Krisenstab haben wir auf mehrere Räume aufgeteilt und den Dienstplan so organisiert, dass für jede Position ein Auswechselspieler bereitstünde. In diesem Krisenstab finden sich Vertreter aus entscheidenden Bereichen, wie zum Beispiel aus dem Justiziariat der Beschaffung bis hin zur Polizeitaktik.

Was ist denn in der Krise Ihre größte Sorge?
Das zentrale Thema ist gerade die Beschaffung von Schutzausstattung.

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Die Amerikaner haben Ihre jüngste Lieferung abgefangen, oder?
Die Konkurrenz um Schutzausstattung ist enorm auf dem Weltmarkt. Das Land Berlin hat die Beschaffung jetzt gebündelt für Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Apotheken und so weiter. Wir können aber auch unsere eigenen Kanäle nutzen. Bei zweien der vielen Bestellungen haben wir die Erfahrung gemacht, dass nicht alles ankommt. Zuletzt hatten wir über 400.000 FFP2-Masken eines amerikanischen Herstellers bestellt.

Die erste Teillieferung über 200.000 FFP2-Masken kam jedoch nie an. Unser Vertragspartner, mit dem wir schon häufiger vertrauensvoll zusammengearbeitet haben, hat mitgeteilt, dass diese aufgekauft worden und nun in die USA unterwegs sein sollen. Er trägt aber dafür Sorge, dass wir Ersatz erhalten. Im ersten Fall kamen von 20.000 Masken nur 5.000 an.

Der ausbleibende Nachschub an Schutzausrüstung zählt gerade zu Slowiks größten Sorgen.
Der ausbleibende Nachschub an Schutzausrüstung zählt gerade zu Slowiks größten Sorgen.

© imago images/Frank Müller

Müssen die Beamten jetzt ohne Masken ins Getümmel?
Aktuell sind wir noch auskömmlich ausgestattet. Alle Einsatzkräfte, die direkt im Kontakt mit dem Bürger sind, sind mit einer Maske versorgt. Die Polizei hat immer schon Erfahrungen mit Infektionsgefahren gehabt, TBC, anderem. Die Kollegen können im Einzelfall selbst entscheiden, wann sie die Maske zur Eigensicherung aufziehen wollen. Aber es gibt die Empfehlung, die Maske aufzusetzen, wenn man sich in Menschenmengen begibt, beispielsweise eine Versammlung auflösen muss.

Kommt die Polizei an ihre Belastungsgrenze?
Davon sind wir weit entfernt. Die Berliner Polizei steht, Stand heute, absolut stabil und ist gut gerüstet.

Sie müssen nicht an Ihre personelle Reserve gehen?
Unsere regulären Aufgaben sind stark zurückgefahren: Wir haben keine Staatsbesuche, keine Versammlungen, keine Straßenfeste, keine Bundesligaspiele. Der Verkehr ist stark reduziert, es gibt viel weniger Menschen im Personennahverkehr.

Außerdem habe ich mehr Personal als im Vorjahreszeitraum zur Verfügung, weil die Neigung, in den Urlaub zu gehen, eher gering ist. Wir haben alle Fortbildungen abgesagt. Die Stärken auch in der Hundertschaft sind deshalb viel höher als sonst.

Auch die Polizei schickt Mitarbeiter ins Homeoffice, die nicht zwingend im Einsatz gebraucht werden.
Auch die Polizei schickt Mitarbeiter ins Homeoffice, die nicht zwingend im Einsatz gebraucht werden.

© imago images/Klaus Martin Höfer

Es heißt: Alles geht den Bach runter – aber die Polizeistatistik 2020 wird spitze. Ist Corona Berlins effektivster Kommissar?
Na ja, die Maßnahmen dauern erst zwei Wochen an. Die Zahlen sind noch wenig belastbar. Aber richtig, wir haben enorme Rückgänge beim Wohnraumeinbruch, Kfz-, Fahrrad-, Taschen- und Ladendiebstahl. Auch Sexualdelikte gehen ganz stark herunter.

Gibt es erste Zahlen?
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum haben wir ungefähr 20 Prozent weniger Straftaten. Im Einzelnen heißt das: etwa 50 Prozent weniger Fahrraddiebstähle, ungefähr 30 Prozent weniger Rohheitsdelikte und etwa 30 Prozent weniger Diebstahl.

Steigen die Zahlen in anderen Bereichen?
Einen Anstieg haben wir bei Kellereinbrüchen. Das liegt aber auch daran, dass viele Menschen jetzt Zeit haben, aufzuräumen und beschließen, nach langer Zeit mal wieder in den Keller zu gehen und da feststellen: Die Tür ist aufgebrochen. Außerdem wird deutlich häufiger Anzeige über unsere Internetwache gestellt.

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Laut Bundesfamilienministerin Giffey sind die Anzeigen bei der häuslichen Gewalt um zehn Prozent gestiegen.
In diesen zwei Wochen hatten wir in Berlin keinen Anstieg zu verzeichnen. Wir liegen seit Januar leicht über dem Vorjahreszeitraum.

Gibt es Kriminelle, die die aktuelle Krise ausnutzen?
Es gibt eine neue Variante des Enkeltricks, da wird dem Opfer vorgegaukelt, dass der Enkel auf der Intensivstation liegt und sofort Geld für Mittel braucht, weil er sonst stirbt. Außerdem gibt es Betrüger, die sich als Mitarbeiter des Gesundheitsamts ausgeben und sich so Zutritt zur Wohnung verschaffen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass wir einen Anstieg an Betrugstaten im Internet bekommen werden.

Wie viele Polizisten sind ausgefallen?
Wir haben – Stand Freitag – 32 infizierte Kolleginnen und Kollegen bei 26.000 Beschäftigten. Dazu kommen etwa 200 Betroffene, die in Quarantäne sind, darunter auch Reiserückkehrende. Das ist nicht einmal ganz ein Prozent.

Seit Freitag gilt der neue Bußgeldkatalog. Sind Sie um Rat gefragt worden?
Nein, die Verhängung von Bußgeldern für Ordnungswidrigkeiten im Rahmen der Eindämmung von Covid-19 ist ja auch gar nicht unsere Aufgabe. Das ist Aufgabe der Bezirksämter, zum Beispiel der Gesundheits- oder der Grünflächenämter. Nur wenn die nicht vor Ort sind, ahnden wir Ordnungswidrigkeiten ersatzweise. Das gilt zum Beispiel auch für die Frage, ob ein Park geschlossen wird. Wir stehen den zuständigen Behörden, den Ordnungsämtern zur Seite und setzen die Regeln in der Stadt um.

Hintergründe zum Coronavirus:

Wer entscheidet, ob das Auf-der-Bank-Sitzen noch im Rahmen einer Erholungspause ist?
Um Handlungssicherheit zu schaffen, erarbeiten wir Empfehlungen, aber am Ende zählt für uns immer Augenmaß. Wir werden nicht mit der Stoppuhr neben Menschen stehen, die eine Erholungspause auf einer Bank oder einer Wiese machen, sondern zählen auf deren eigene Vernunft. Entscheidend ist, dass der erforderliche Abstand eingehalten wird, um so das Infektionsrisiko zu verringern.

Am heutigen Sonntag werden sonnige 17 Grad erwartet. Rüsten Sie die Polizei mit Zollstöcken für die Parks aus?
Nein, natürlich nicht. Es geht darum, dieses Virus einzudämmen. Der Grundsatz der Verordnung ist: Wir sind zu Hause. Der Grundsatz darf nicht zur Ausnahme werden.

Es drohen ja Geldstrafen bis zu 500 Euro ...
Wenn jemand aus Unachtsamkeit den Abstand mal nicht einhält, muss man keine Strafen befürchten. Ein Lager mit Grill, Radio und Gesellschaftsspiel werden wir aber nicht dulden.

Die Ausweispflicht wurde abgeschafft. Ein Fehler?
Die Ausweispflicht hat es uns natürlich leichter gemacht, wenn man feststellen will, ob es sich bei einer Gruppe im Park wirklich um eine Wohngemeinschaft oder Familie handelt. Deshalb würde ich die Berlinerinnen und Berliner bitten, trotzdem ihren Ausweis mitzuführen.

Das verhindert, dass wir in Einzelfällen gezwungen sind, mit nach Hause zu fahren und da den Ausweis noch mal in Augenschein zu nehmen. Oder jemand sogar mit auf die Wache nehmen müssen, um dort die Identität festzustellen.

Die Gewerkschaft sagt: Die Polizei wurde mit dieser Verordnung im Regen stehen gelassen, weil sie die kaum noch durchsetzen kann.
Es ist ja so: Ganz überwiegend sind die Berlinerinnen und Berliner verantwortungsbewusst, halten sich an die Verordnung und reagieren auf Ansprache im allergrößten Teil mit Verständnis. Auch wenn es vor mir schon manche getan haben, möchte ich auch noch mal ein deutliches Lob aussprechen.

Bislang hat die Polizei rund 2000 Restaurants, Kneipen und Bars überprüft - 835 wurden geschlossen.
Bislang hat die Polizei rund 2000 Restaurants, Kneipen und Bars überprüft - 835 wurden geschlossen.

© imago images/Christian Ditsch

Wie viele Anzeigen gegen uneinsichtige Bürger haben Sie bislang gestellt?
Wir haben seit dem 14. März gut 2.000 Objekte überprüft…

… also Restaurants, Kneipen, Bars …
… wovon wir 835 geschlossen haben. Es gab knapp 1.500 Überprüfungen im Freien, und bei all diesen Überprüfungen haben wir insgesamt gut 900 Strafanzeigen gefertigt.

Was erlebt die Truppe so auf den Straßen der Stadt?
Die Beamten berichten, dass sie grundsätzlich auf Verständnis stoßen. Aber sie berichten auch, dass die Emotionalität mit zunehmender Dauer der Maßnahmen steigt.

Es heißt, Beamte würden angespuckt und angehustet. Wie oft passiert das?
Bei Festnahmen in anderem Zusammenhang erleben das unsere Beamten jetzt leider öfter, aber die Zahlen liegen noch immer im zweistelligen Bereich. Im Zusammenhang mit Corona sind uns bislang nur wenige Fälle gemeldet worden.

Wer angehustet wird, muss zum Test?
Nein, zum Test des polizeilichen Gesundheitsdienstes geht nur, wer Symptome zeigt. Wir haben bislang 230 Tests durchgeführt und dabei 13 Infizierte festgestellt. 50 weitere sind zum Test angemeldet. Grundsätzlich arbeiten wir diese nach Eingang ab. Bombenentschärfer und andere Spezialisten werden aber gegebenenfalls prioritär behandelt.

Die Polizeichefin besteht auf den Grundsatz: Wir bleiben Zuhause. Der Aufenthalt draußen dürfe sich nicht ewig ziehen.
Die Polizeichefin besteht auf den Grundsatz: Wir bleiben Zuhause. Der Aufenthalt draußen dürfe sich nicht ewig ziehen.

© imago images/Klaus Martin Höfer

Am Osterwochenende wird das Wetter noch viel besser werden. Was passiert dann? Eine vierköpfige Familie, die in einer Dreizimmerwohnung wohnt, muss doch auch mal raus.
Ich habe allergrößtes Verständnis dafür, weil ich in meiner Freizeit selbst am liebsten draußen bin, um mich zu bewegen. Aber die Situation gebietet es eben, zu Hause zu bleiben. Dass man nach draußen geht, darf nicht den Großteil des Tages einnehmen. Es können nicht Hunderttausende zur gleichen Zeit ins Freie.

Haben Sie Hubschrauber losgeschickt, um Menschenmengen ausfindig zu machen?
Das ist ein reguläres Einsatzmittel. Wir setzen es ein, um uns einen Überblick zu verschaffen, wie sich die Menschen in der Stadt verteilen. Dann können wir Kräfte gezielt einsetzen.

Auch Drohnen?
Nein, dafür brauchen wir keine Drohnen.

Fühlen sich Ihre Beamten jetzt, nun ja, mächtiger?
Ich habe eine sehr hohe Zahl an Vollzugskräften, die in der Regel freundlich auf die Bürger zugehen. Manchmal gibt es auch den ein oder anderen, der sicher sehr deutlich agiert.

Barbara Slowik ist die erste Polizeipräsidentin Berlins. Sie wurde am 10. April 2018 ernannt.
Barbara Slowik ist die erste Polizeipräsidentin Berlins. Sie wurde am 10. April 2018 ernannt.

© André Görke

Manche Krisen gebären auch Gutes. Gilt das auch für die Berliner Polizei?
Da wir gerade alle, die nicht zwingend präsent sein müssen, ins Homeoffice schicken, kommen wir im Bereich der Digitalisierung einen guten Schritt voran. Wir werden jetzt unsere Zahl der Lizenzen für den Fernzugriff verdoppeln. Sodass wir noch flexibler werden.

Handytracking – das ist doch aus Sicht der Polizei super, oder?
Aktuell brauchen wir so ein Instrument nicht. Neben datenschutzrechtlichen Fragen ist doch auch die nach der Effektivität zu stellen. Jemand, der sein Handy zu Hause lässt, ist auch nicht zu tracken. Die freiwillige App im Kampf gegen Corona finde ich in der Tat unterstützenswert. Das ist sinnvoll, daran würde ich mich auch selbst jederzeit beteiligen.

Müssen wir aufpassen, dass bestimmte Maßnahmen auch rechtzeitig zurückgedreht werden, wenn die Gefahr vorüber ist?
Für Berlin gilt: Die Eindämmungsverordnung und die daran geknüpften Maßnahmen sind gegenwärtig bis zum Ablauf des 19. Aprils 2020 befristet. Tritt keine Verlängerung in Kraft, enden die Maßnahmen. Für die Polizei Berlin gilt: Alle unserer internen Ausnahmeregelungen, wie zum Beispiel die Flexibilisierung der Dienstzeiten, sind daran gekoppelt und enden dann ebenfalls.

Barbara Slowik wurde am 14. März 1966 in Berlin geboren. Sie studierte Rechtswissenschaften in Freiburg und wurde 1994 Regierungsrätin in Berlin. 2002 wechselte sie ins Bundesministerium des Innern, wo die Juristin 2010 zur Leiterin des Referats für Grundsatz- und Rechtsangelegenheiten der Terrorismusbekämpfung aufstieg. Slowik übernahm zudem die Fachaufsicht über den Personenschutz der Bundesregierung und begleitete die Arbeit des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums. Barbara Slowik ist die erste Polizeipräsidentin Berlins. Sie wurde am 10. April 2018 von Innensenator Andreas Geisel (SPD) ernannt. Das Interview führten Katja Füchsel und Stephan-Andreas Casdorff.

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