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Beschneidung: Beschneidung

Ein Schnitt geht durch Deutschland. Er ist tief und teilt die Republik in zwei sich misstrauisch belauernde, ja feindliche Lager.

Ein Schnitt geht durch Deutschland. Er ist tief und teilt die Republik in zwei sich misstrauisch belauernde, ja feindliche Lager. Auf der einen Seite stehen die Gegner der religiös motivierten Beschneidung kleiner Knaben. Sie berufen sich auf das Kindeswohl, sprechen von Körperverletzung und verurteilen das Ritual als archaische Praxis, die verboten gehört. Auf der anderen Seite betonen die Befürworter des Brauchs, dass der Eingriff ein grundlegender, jahrtausendealter Bestandteil des muslimischen, vor allem aber auch des jüdischen Glaubens sei. Die verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit komme also hier zum Tragen. Zumal der Eingriff – von Einzelfällen abgesehen – harmlos sei.

Es ist zwar nicht das erste Mal, dass der Umgang mit der Vorhaut die Gemüter erregt. Doch seit dem Urteil des Kölner Landgerichts, wonach ein Arzt sich strafbar machen kann, wenn er sein Skalpell im Namen des Ritus ansetzt, hat das Thema Beschneidung das Zeug zum Kulturkampf. Verblüffend. Bislang war die Entfernung kein Grund zur Aufregung. Nur in kleinen Zirkeln von Juristen und Medizinern kam es immer wieder zu kleinen, wenn auch heftigen Debatten.

Dort hätte der Streit nach Ansicht derer, denen der Schnitt viel bedeutet, ruhig bleiben können. Das gilt vor allem für Juden. Denn Säkulare, Atheisten und Gläubige sind sich weitgehend einig: Die Brit Mila, der „Bund der Beschneidung“, ist ein spirituelles, identitätsstiftendes Bekenntnis. Ein zentrales Gebot, das die Verbindung zwischen Gott und Mensch besiegelt. Neben Sabbat und Gebet gehört es gemäß der Thora zu den zentralen religiösen Pflichten, seit 3500 Jahren. „Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen. So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein.“ Die Brit Mila besitzt einen derart hohen Stellenwert, dass sie sogar am Sabbat oder am Feiertag Jom Kippur erfolgen darf. Es gibt allerdings Ausnahmen – zum Wohle des Kindes. Ist das Baby schwach oder krank, wird die Beschneidung verschoben. Und noch etwas heben die Befürworter hervor. Der Schnitt ohne Betäubung erfolgt durch einen professionellen Beschneider, den Mohel. Der steht einem Chirurgen in fachlicher Hinsicht kaum nach und achtet sorgfältig auf die Einhaltung hygienischer Vorschriften.

Im Islam hat die Beschneidung ebenfalls große Bedeutung, aber wohl keine so zentrale wie im Judentum. Dennoch gilt sie bei Muslimen – mit Hinweis auf die Vorbildfunktion der Propheten Abraham und Mohammed – als religiöse Pflicht. So heißt es: „Zur ursprünglichen Natur der Menschen gehören fünf Handlungen: Die Beschneidung, das Abrasieren der Schamhaare, das Kurzschneiden des Schnurrbarts, das Schneiden der (Finger- und Fuß-) Nägel und das Auszupfen der Achselhaare.“ Einen konkreten Termin für den Eingriff gibt es nicht. Wie im Judentum gilt der Ritus jedoch als Ausdruck der Religionszugehörigkeit.

Aus Sicht des Judentums und des Islam gibt es folglich keinen Grund, an der bislang geübten, tolerierten Praxis etwas zu ändern. Umso überraschter ist man, dass die Kritik inzwischen so vehement vorgetragen wird. Steckt vielleicht hin und wieder mehr dahinter, als das Wohl des Kindes? Kommen hier antireligiöse, antisemitische, antimuslimische Reflexe zum Ausdruck? Tatsache ist, dass die Verunglimpfung der Beschneidung seit Jahrhunderten zu den klassischen Topoi gerade judenfeindlicher Ressentiments gehört.

Es ist nur ein kleiner Schnitt. Doch er hat das Potenzial, eine Gesellschaft zu spalten. Nun ist es am Gesetzgeber, dies zu verhindern.

Die Entfernung der Vorhaut steht zur Diskussion – aber nicht für

die Juden. Sie wissen, was hinter der Kritik an Feindschaft stecken kann

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