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Politik: Beschwörung der Stille

Gestern blieb es ruhig im Kosovo – und doch kann jederzeit die Anarchie explodieren

Von Caroline Fetscher

Es ist ruhiger geworden in Pristina. Helikopter der Nato kreisen über den Dächern, Kfor-Fahrzeuge und Polizei-Patrouillen sind unterwegs. Sonst erinnert wenig daran, dass hier vor Tagen einige tausend Menschen auf die Straßen gegangen waren, dass man im Kosovo zwei Tage lang kurz vor der Anarchie stand.

Ilir Dugolli, Chefberater von Premierminister Bajram Rexhepi, ist hörbar erleichtert, als er am Telefon erzählen kann, dass die Leute wieder in Cafés in der Sonne sitzen, ins Kino gehen oder zur Arbeit – sofern sie zu den 40 Prozent Kosovaren gehören, die einen Job haben. „Es ist überall ruhig, normal, wie vorher“, sagt er beschwörend. Sorge bereitet Dugolli dieser Sonntag dennoch. In dem Dorf Cabra, eine halbe Autostunde nördlich von Pristina, wurden gestern die beiden albanischen Kinder beerdigt, die vergangene Woche im Fluss Ibar ertranken.

Ein überlebender Junge, der 13-jährige Fitim Veseli, hatte seinen Eltern erzählt, eine Gruppe serbischer Jugendlicher habe die Kinder mit einem Hund in den Fluss mit der starken Strömung gehetzt. In Windeseile verbreitete sich die Nachricht, überall im Land zogen aufgebrachte Gruppen zu serbischen Siedlungen, zündeten Häuser und Kirchen an.

Ilir Dugollis hofft auf den Einfluss des Premierministers. „Er hat die Familien der Jungen besucht und sie gebeten, nichts Aufhetzendes zu sagen.“ Im Radio hat das „provisorische“ Staatsoberhaupt – alle albanischen Regierungsmitglieder tragen diesen Zusatz zum Titel – außerdem dazu aufgerufen, sich aus Respekt vor den Toten überall friedlich zu verhalten. Kontrollstellen an den Straßen sollten verhindern, dass größere Menschenmengen überhaupt zum Friedhof vordrangen. Italienische Kfor-Soldaten haben Schützenpanzer auf einem Abhang vor dem Dorf postiert. „Wir wissen, dass alle Kosovaren gern dabei sein wollen“, erklärte Zaim Deliu, der Vater eines der ertrunkenen Jungen im Fernsehen am Abend vor der Beerdigung. „Aber wir appellieren an euch, nicht zu kommen – aus Rücksicht auf den Ort, und um weitere Tragödien zu verhindern.“ Und tatsächlich: Die Appelle wurden gehört. Statt der erwarteten 25000 nahmen nur an die 7000 Menschen an der Beerdigung teil. Alles blieb so still, wie es bei einer Beerdigung sein soll.

Am Sonntag hat die albanische Regierung außerdem einen Fonds für den Wiederaufbau serbischer kultureller und religiöser Stätten eingerichtet. „Wir versuchen, Versöhnung zu schaffen“, sagt Ilir Dugolli. „Der Schaden, den Kriminelle angerichtet haben, ist groß für unser Land.“ Bis jetzt konnten etwa 3000 Serben nicht in ihre Wohnungen zurückkehren – aus Sicherheitsgründen oder weil ihre Häuser abgebrannt sind. Sie flüchteten auf Militärbasen oder wurden von Verwandten aufgenommen.

Unter der Oberfläche brodelt es noch. „Mir tat es in der Seele weh“, sagt Uk Lushi, „zu sehen, wie unsere Leute Feuer an serbische Häuser gelegt haben.“ Lushi ist Anfang 30 und hat eben an der Columbia University in New York seinen Abschluss als Wirtschaftswissenschaftler gemacht. In seinen Urlaub, wo er das Examen mit bei den Eltern in Pristina feiern wollte, brachen die Unruhen ein, angezettelt von einer Handvoll Radikaler, wie die Regierung des Kosovo beteuert. „In den Augen der meisten Albaner habe ich mehr Angst als Zorn gesehen“, sagt Uk Lushi, „Angst, dass das eskaliert.“ Lushi war UCK-Kämpfer, Teil der „Atlantic Brigade“ der Exilalbaner aus den USA. „Ich habe Milosevics Regime bekämpft, nicht meine serbischen Nachbarn.“ Auch jetzt, sagt er, richte sich die Wut weniger gegen Serben als vielmehr gegen die UN-Verwalter jener großen Behörde, die die Macht im Land hat, die Unmik (United Nations Mission in Kosovo).

„Kfor und Unmik haben einfach zugesehen, als es losging“, entrüstet sich Uk Lushi. „In der Wohnung über meinen Eltern wohnen zwei britische Polizisten, die waren verschwunden, als der Ärger anfing.“ Der Zorn auf die Unmik ist mit Händen zu greifen. Fünf Jahre nach Kriegsende kommt die Wirtschaft immer noch nicht richtig voran, nur wer bei den „Internationals“ einen Job hat, lebt gut. „Ein Übersetzer bei denen verdient 1000 Euro im Monat, ein Professor an der Uni 160 Euro – da stimmen die Dimensionen nicht“, sagt Uk Lushi.

Auch der 28-jährige Albin Kurti, charismatischer Aktivist für Menschenrechte, dessen Fall um die Welt ging, als er unter Milosevic für drei Jahre in serbischen Gefängnissen eingesperrt war, verliert die Geduld mit den einst begrüßten Befreiern. „Unmik hat einfach zu viel Macht – es ist entwürdigend für uns. Absolute Macht korrumpiert absolut.“ Kurti lacht. Aber es ist ihm bitterernst. „Als Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, alles zugleich, kann Unmik sich hier alles leisten.“ Niemand, sagt der junge Mann mit fester Stimme, „gar niemand kontrolliert sie – aber die kontrollieren uns.“

„Mit den Serben“, sagt auch Albin Kurti, „habe ich nie Probleme gehabt. Sogar die Gefängniswärter waren für mich Menschen wie wir alle.“ Kurtis Problem ist die Politik – die in Belgrad und die der Unmik. „Wir wollen Unabhängigkeit, auch als Entschädigung für all die Toten der Massaker. Aber der Wille der Bevölkerung wird ignoriert. Und die Herrschaft von Unmik hat keine Deadline, sie ist tendenziell endlos.“

Nikolaus Graf Lambsdorff, Koordinator der Unmik für Wirtschaftsfragen, ist ohne Illusionen: „Machen wir uns nichts vor“, sagt er an seinem Schreibtisch im Unmik-Hauptquartier: „Kosovo ist ein Dritteweltland. Und wirtschaftlich läuft es hier heute besser als in den Jahren vor Milosevic.“ Aber gleich räumt er ein: „Die Frustration verstehe ich ja – der Fortschritt ist langsam. Und dann sehen die Leute bei uns von den internationalen Organisationen natürlich einen Lebensstil, von dem Albaner nur träumen können.“ Lambsdorff seufzt. „Der Maßstab ist verrückt, hier klafft ein riesengroßer Abgrund zwischen Realität und Wunsch.“

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