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Pocht auf das Vorschlagsrecht der Grünen: Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

© Marijan Murat/dpa

Besetzung des Bundesverfassungsgerichts: Parteien streiten um Vorschlagsrecht für Verfassungsrichter

Seit 2016 gilt die Verabredung, dass die Grünen jeden fünften Verfassungsrichter vorschlagen dürfen. Doch die SPD steht nicht mehr dazu.

Um das Vorschlagsrecht für Verfassungsrichter ist ein Streit unter den politischen Parteien entbrannt. Die SPD steht nicht mehr zu einer Verabredung, die sie auf Ebene der Länder mit Union und Grünen getroffen hat. Diese Verabredung aus dem Jahr 2016 sieht vor, dass die Grünen jeden fünften Verfassungsrichter vorschlagen, der in der Länderkammer gewählt wird. Die Verfassungsrichter werden je zur Hälfte in der Länderkammer und zur anderen Hälfte im Bundestag gewählt.

Am 24. April erreicht der Verfassungsrichter Michael Eichberger aus dem Ersten Senat die Altersgrenze. Schon länger pocht der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) auf die alte Verabredung und mahnt an, dass die Grünen bei der Nachbesetzung der Stelle zum Zuge kommen. Doch die SPD ziert sich. Daher hat Kretschmann das Thema im informellen Teil der Ministerpräsidentenkonferenz, die Mittwoch und Donnerstag in Brüssel stattfand, angesprochen. Wie zu hören ist, konnten sich die Regierungschefs nicht einigen.

Bis 8. Juni muss eine Entscheidung stehen

Das Thema wurde auf Mai vertagt. Dann soll entschieden werden, ob es bei der Verabredung bleibt oder ein neues Verfahren entwickelt wird. Kretschmann ist nicht bereit, zurückzustecken. Er pocht auf die Verabredung. Am Rande des Treffens war zu hören, dass die unionsregierten Länder, die von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) koordiniert werden, zu der Absprache weiterhin stehen. Bei den SPD-regierten Ländern, die von Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) koordiniert werden, sei es schwierig, heißt es. Bei der Bundesratssitzung am 8. Juni muss eine Entscheidung getroffen werden.

Wie zu lesen war, haben die Grünen als Nachfolger Claudio Nedden-Boeger im Blick, Richter im Senat für Familienrecht am Bundesgerichtshof und Richter am Landesverfassungsgericht in Nordrhein- Westfalen.

Die Ansprüche der kleinen Parteien wachsen

Die Grünen leiten ihren Anspruch, bei der Benennung von Richterstellen zu entscheiden, aus ihrer Beteiligung an mittlerweile neun von 16 Landesregierungen ab. Mit Susanne Baer gibt es bereits eine Richterin im Ersten Senat, die auf dem Ticket der Grünen läuft. Lange Zeit hatten SPD und Union unter sich ausgemacht, welche Kandidaten für das Karlsruher Gericht vorgeschlagen werden. Mal ließen sie FDP und Grünen, ihre Juniorpartner in wechselnden Konstellationen, zum Zuge kommen. Doch indem Union und SPD über die Jahrzehnte Prozente verloren haben und in einigen Ländern keine Volksparteien mehr sind, wachsen die Ansprüche der anderen Parteien, auch ein Wort mitzureden und am Ende den Ausschlag bei einer Personalentscheidung zu geben. Letztlich müssen sich die Ministerpräsidenten untereinander einigen. Ein Richter muss mit zwei Drittel der 69 Stimmen in der Länderkammer gewählt werden.

Auch in der Richterschaft gibt es Bedenken

Für Verärgerung in der Politik sorgt, dass sich auch Stimmen aus dem Verfassungsgericht zu der Nachbesetzung zu Wort gemeldet haben. Einige Richter äußerten hinter vorgehaltener Hand Bedenken, dass die Grünen zum Zuge kommen. Hintergrund sind aber nicht Zweifel an der Kompetenz des Kandidaten. Vielmehr fürchte die Richterschaft, dass damit womöglich der Erste Senat in der Öffentlichkeit als mehrheitlich politisch links wahrgenommen werde. Schon heute gebe es ein Übergewicht von Kandidaten, die eher linken Parteien nahestehen sollen. Sollte Kretschmann seinen Vorschlag durchsetzen, wären im Ersten Senat zwei Richter vertreten, die die Union vorgeschlagen hat, drei kämen auf Geheiß der SPD, zwei von den Grünen und einer von den Liberalen.

Auch wenn die Parteien nach der üblichen Praxis Verfassungsrichter vorschlagen, so heißt dies nicht, dass die Juristen anschließend in Karlsruhe parteipolitisch agieren. Vielmehr war es in der Vergangenheit vielfach so, dass Richter, einmal im Amt, Entscheidungen getroffen haben, mit denen die Parteizentrale nicht einverstanden war. Grundsätzlich müssen Richter unabhängig sein, sie dürfen nicht Weisungen aus der Politik unterliegen. Das verlangt das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.

In einer früheren Version dieses Artikels war die Rede davon, dass ein Richter mit zwei Drittel der 16 Stimmen der Länderkammer gewählt werden muss. Tatsächlich sind es aber zwei Drittel von insgesamt 69 Stimmen.

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