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Besuch des türkischen Ministerpräsidenten in Berlin: In der Fremde unter Landsleuten

Der türkische Ministerpräsident will am Dienstag die Kanzlerin und potenzielle Wähler treffen. Welchen Zweck hat der Besuch?

Inmitten der Korruptionsaffäre von Ankara will der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an diesem Dienstag in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprechen. Bei dem Treffen dürfte Erdogan der Kanzlerin seine Sicht der Dinge darlegen und die angebliche regierungsfeindliche Verschwörung in der türkischen Justiz anprangern.

Was will Erdogan in Berlin erreichen?

Zuletzt hatten sich Erdogan und Merkel beim G-20-Gipfel im September in Russland gesehen. Bei ihrem Gespräch in Berlin dürfte es unter anderem um den türkischen EU-Beitrittswunsch sowie um den Konflikt in Syrien gehen. Erst kürzlich hatte Erdogan die Spitzenvertreter der EU in Brüssel getroffen und auf rasche Fortschritte in den Beitrittsverhandlungen seines Landes gedrängt.

Vor wenigen Tagen war Erdogan zudem in Teheran, um mit der iranischen Führung über den Konflikt in Syrien zu sprechen. Erdogan dürfte der deutschen Regierung zudem versichern, dass die derzeitigen wirtschaftlichen Turbulenzen mit der starken Leitzinserhöhung als Antwort auf den drastischen Wertverfall der Lira in den vergangenen Wochen die Stärke der Wirtschaftsmacht und die Attraktivität des Investitionsstandorts Türkei nicht grundsätzlich in Frage stellen.

Doch der türkische Premier will in Berlin auch seine eigenen Wähler treffen: Mit seinen rund 1,5 Millionen türkischen Staatsbürgern ist Deutschland ein wichtiges Land für alle türkischen Wahlkämpfer. „Berlin trifft den großen Meister“ heißt das Motto eines Auftritts von Erdogan im Berliner Tempodrom nach seinem Gespräch mit Merkel und einem Vortrag bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am Dienstagabend. Organisiert wird die Veranstaltung von der Union europäisch-türkischer Demokraten, die Erdogans Regierungspartei AKP nahesteht. Mehrere tausend Menschen werden erwartet. Auslandstürken dürfen zwar nicht bei den türkischen Kommunalwahlen im März mit abstimmen, wohl aber bei der Präsidentschaftswahl im Sommer – bei der Erdogan antreten will.

Was ist bei der diesjährigen türkischen Präsidentschaftswahl neu?

Zum ersten Mal wählen die Türken in diesem Jahr ihr Staatsoberhaupt direkt; bisher wurde der türkische Präsident vom Parlament bestimmt. Auch für die Auslandstürken ändert sich einiges. Bei bisherigen Wahlen mussten türkische Staatsbürger in die Türkei reisen, um an Flughäfen oder Grenzübergangsstellen ihre Stimmen abzugeben; eine Briefwahl gibt es in der Türkei nicht. Diese Hürden ließen die Wahlbeteiligung der Auslandstürken auf zuletzt nur noch fünf Prozent sinken.

In diesem Jahr sollen Wahllokale in türkischen Einrichtungen wie der Botschaft in Berlin und Konsulaten im restlichen Bundesgebiet eingerichtet werden. Auch die Anmietung von zusätzlichen Sälen oder Hallen für die Stimmabgabe ist im Gespräch. Die türkischen Behörden sprechen mit dem Bundesinnenministerium über das Thema.

Noch hat Erdogan seine Präsidentschaftskandidatur nicht offiziell erklärt. Das Resultat der Kommunalwahlen am 30. März gilt als wichtiger Indikator für die Popularität des Ministerpräsidenten. Die AKP hofft, landesweit auf einen Schnitt von etwa 40 Prozent zu kommen, was dem Mittel der beiden vorigen Kommunalwahlen entspricht. Sollte die AKP – etwa wegen der Korruptionsaffäre – weit unter die 40-Prozent-Marke absacken, wäre Erdogans Kandidatur gefährdet.

Wie ist der Stand in der türkischen Korruptionsaffäre?

Erdogans Regierung muss sich seit Dezember gegen Korruptionsvorwürfe wehren. Ein iranischstämmiger Geschäftsmann soll mehrere Minister mit Millionensummen bestochen haben, um Rückendeckung für zwielichtige Goldgeschäfte mit Teheran zu erhalten. Die Opposition in Ankara und auch die EU fordern eine transparente Aufklärung der Vorwürfe.

Doch Erdogan ist überzeugt, dass es sich dabei um eine Kampagne von Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen handelt, um die Regierung kurz vor den Kommunalwahlen in Bedrängnis zu bringen. Gülen, ein früherer Verbündeter Erdogans, hatte sich mit der AKP überworfen und ist jetzt ein mächtiger Gegenspieler des Ministerpräsidenten. Erdogan hat mehrere tausend mutmaßliche Gülen-Anhänger in Polizei und Justiz versetzen lassen.

Gleichzeitig erhöht die Regierung den Druck auf die Opposition, die immer neue Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan publik macht. In parlamentarischen Anfragen fordert sie von dem Ministerpräsidenten unter anderem eine Stellungnahme zu Berichten, wonach er sich als Gegenleistung für die Genehmigung eines Bauprojektes an der Ägäis zwei Villen schenken ließ. In einem anderen Fall geht es um Millionenzahlungen an eine Stiftung, bei der Erdogans Sohn Bilal mitarbeitet.

Nun zog die Regierung auf drastische Weise die Notbremse. Der Oppositionspolitiker Umut Oran von der Partei CHP wollte per Anfrage von Erdogan wissen, ob Bericht zutreffen, nach denen Erdogan den Verkauf einer Mediengruppe an einen ihm wohl gesonnenen Geschäftsmann organisiert haben soll. Darauf erwirkte die Internet-Aufsichtsbehörde einen Gerichtsbeschluss, der die Veröffentlichung von Orans Anfrage verbot. Zum ersten Mal in der Geschichte werde die Äußerung eines Parlamentsabgeordneten gerichtlich zensiert, kritisierte daraufhin Oran. Das werde er sich nicht bieten lassen. Doch Kritiker befürchten, dass dies erst der Anfang ist. Das türkische Parlament debattiert derzeit über ein neues Internet-Gesetz, das die Sperrung von Websites durch die Behörden erleichtern würde.

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