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Besuch im Dorf: Guttenberg: Die Trotzburg

Für viele hier ist der Minister wie ein Sohn, der beschützt gehört – egal, was er tut. Schließlich kommt seine Familie von hier. Ein Besuch im Örtchen Guttenberg.

Wahrscheinlich ist es auch heute nach dem Gottesdienst wieder so, wie es am Freitag war, dass die Gläubigen den Pfarrer vom Dorf Guttenberg fragen, wie er die Fehler in der Doktorarbeit bewerte. Seit einer Woche will das täglich jemand von ihm wissen. Seit bekannt geworden ist, dass Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Sohn der Burg über dem Dorf, große Teile seiner Doktorarbeit von anderen Autoren abgeschrieben hat, ist das das wichtigste Gesprächsthema im Ort. Und der Pfarrer des evangelisch-lutherischen Pfarramts Guttenberg, Kirchweg 2, Günter Weigel, ist eine wichtige Autorität im Dorf.

Und auch heute wird Weigel wohl, wie bisher jedes Mal, antworten: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Und nach einer Weile hinzufügen: „Er hat sich entschuldigt und damit Buße getan, wir müssen ihm verzeihen.“ Und vielleicht ist er froh, dass er nicht gegen eine katholische Lehre andenken muss, die die von Guttenberg als Antrieb eingestandene Eitelkeit zu den Todsünden zählt.

Guttenberg, der Ort, trägt den Namen der Familie des Verteidigungsministers. In der Burg wohnen seine Eltern, Enoch zu Guttenberg wird als Patron des Pfarramts genannt, im Dorfzentrum steht eine Statue des Großvaters, der Minister hat hier ein Haus. Etwa 570 Menschen leben in dem Dorf, das sich unterhalb der Burg Guttenberg befindet, im Norden von Oberfranken, mitten in der strukturschwächsten Gegend von Bayern. Fast 78 Prozent der Menschen aus dem Ort stimmten bei der vergangenen Bundestagswahl für Guttenberg.

Wie jeder im Dorf kennt auch der Pfarrer den Freiherrn gut: Seit 14 Jahren arbeitet Weigel hier, den katholischen Karl-Theodor und die evangelische Stephanie von Bismarck hat er im Jahr 2000 ökumenisch getraut. Wenn er und seine Frau die Burgherren auf der Straße treffen, wechseln sie immer ein paar persönliche Worte. Der Pfarrer ist allerdings häufiger zu sehen als der Baron. Jeden Tag macht er Hausbesuche bei den Menschen in der Gemeinde, die nicht zu ihm in die Pfarrkirche St. Georg kommen können. Weigel sagt, dass er eigentlich nicht über den Fehler von Guttenberg sprechen wolle, „aber nach kurzer Zeit fangen die Leute jedes Mal an.“

Als er am vorvergangenen Mittwoch von den Vorwürfen gegen Guttenberg im Lokalsender hörte, war er gerade im Auto unterwegs, auf dem Rückweg von einem Hausbesuch. Er drehte das Radio lauter und versuchte zunächst, sich keine Meinung zu bilden. Weigel hat selbst promoviert, führt also ein „Dr.“ als Titel. Damit er seine Arbeit abschließen konnte, musste er eine längere Auszeit nehmen. Er hatte immer gedacht: Ein normaler Mensch schafft es nicht, eine Doktorarbeit nebenbei zu schreiben. Als er an jenem Donnerstag zu Hause ankam, nahm er die Bibel zur Hand.

„Die Menschen hier trennen zwischen dem, was Guttenberg bei seiner Doktorarbeit getan hat und dem, was er als Verteidigungsminister macht“, sagt Weigel anderthalb Wochen nach Beginn der Affäre. „Sie finden, seine Arbeit mache er gut, und das eine habe mit dem anderen nichts zu tun.“ Allerdings, das fügt er an, könnten die meisten Guttenberger nicht einschätzen, was es bedeute, wenn jemand in einer Doktorarbeit abschreibe. Die wenigsten im Ort haben studiert.

Erwin Hain, Pensionär und seit 15 Jahren Bürgermeister im Ort, ist immerhin Bankangestellter gewesen. Und findet aber nicht, dass Guttenberg einen schlimmen Fehler begangen habe. „Bei uns stehen alle hinter ihm“, sagt Hain. Und: „Natürlich hat er weiterhin unser Vertrauen.“

„Natürlich hat er einen schrecklichen Fehler begangen“

Viele in Guttenberg kennen den Verteidigungsminister seit Jahrzehnten, sie haben ihn aufwachsen sehen, für sie ist er mehr als ein Politiker. „Wenn er mein Sohn wäre, dann würde ich verlangen, dass er zu seinem Fehler steht“, sagt eine Anwohnerin. „Aber sobald er das gemacht hat, würde ich wollen, dass die Leute aufhören, auf ihm herumzuhacken.“ Sie ist eine Nachbarin der Burg Guttenberg, ihr Haus drängt sich unterhalb der Burg an den Hang. Als sie im Radio von den Plagiatsvorwürfen hörte, war sie schockiert. Seit fast 20 Jahren kennt sie Karl-Theodor und seine Familie. „Natürlich hat er einen schrecklichen Fehler begangen“, sagt sie. „Aber aus Verbundenheit verzeihen ihm die meisten hier. Ich auch.“ Nun ist sie wütend auf die anderen Politiker und die Medien, die Guttenberg unter Druck setzten.

An der Schranke, die das Dorf vom Schloss trennt, steht eine alte Dame und blickt zur Burg, erschüttert. Den Minister kennt sie, seit er ein Baby war. Und sie weiß, was es bedeutet, eine Doktorarbeit zu schreiben, ihr Sohn hat promoviert. „Ich verstehe nicht, wie er so etwas machen konnte.“ Sie schüttelt den Kopf. Dann verschwindet sie in ihrem Haus, sie will nicht schlecht reden über den Karl-Theodor, der ihr Enkel sein könnte.

Auch der Wirt des einzigen Gasthauses in Guttenberg, Uwe Böhnke, kennt den Verteidigungsminister gut. Bei ihm trifft sich der CSU-Ortsverband, zu dessen Versammlungen auch Karl-Theodor zu Guttenberg kommt. Verbunden fühle er sich dem Minister aber nicht, sagt er. Vor 14 Jahren ist Böhnke mit seiner Frau, einer Kulmbacherin, aus Berlin hierher gezogen, seit fünf Jahren gehört ihm das Wirtshaus Zur Post. Ein grauer Bau aus den 60er Jahren, weiter unten am Burghang, innen rustikaler Landhausstil mit Holz und Eisen, ebenfalls aus den 60ern. Böhnke ist nicht nur Berliner, sondern auch Vorsitzender der SPD in Guttenberg.

Um zwölf Uhr mittags ist Böhnke noch allein in seinem Gasthaus. Er trinkt Filterkaffee, blättert in der „B.Z.“, die er abonniert hat, und wartet auf die ersten Gäste. Doch die kommen erst am Nachmittag, wenn die Arbeit vorbei ist.

„Mit Guttenbergs Image als Saubermann isset vorbei“, sagt Böhnke mit starkem Berliner Akzent. Doch etwas scheint auch er von der Verbundenheit zu spüren, von der die Schloss-Nachbarin gesprochen hat. Denn auch er nimmt Guttenberg in Schutz. „Ich frage mich“, sagt Böhnke nach einer Weile, „wieso man die Fehler in der Doktorarbeit gerade jetzt gefunden hat, wo in diesem Jahr so viele Wahlen anstehen. Ich sage: Er ist ein Überflieger, da waren viele neidisch. Die haben gezielt nach etwas gesucht.“

Als hätten Mitglieder der gegnerischen Parteien die Plagiatsvorwürfe in die Welt gebracht. Dabei war es doch ein Wissenschaftler, der sich in Guttenbergs Doktorarbeit eingelesen hatte – und dem dort einiges irgendwie bekannt vorkam.

Aber das sind alles so Details, und wer weiß schon. Als Nachbarn seien die Guttenbergs jedenfalls sehr angenehm, sagt Böhnke noch. Trotz ihrer sozialen Position würden sie niemanden von oben herab behandeln. Wenn der Sohn im Ort ist, nehme er sich immer Zeit für ein kurzes, persönliches Gespräch. Dann wundert sich Böhnke: Wieso musste er diese Doktorarbeit überhaupt schreiben?

"Die haben Schaum vor dem Mund"

Das fragt sich auch Otto Krug. Krug ist einer von zwei Inhabern des Bistros Alte Feuerwache, zehn Kilometer von Guttenberg entfernt, in Kulmbach, dem Ort, dessen Ehrenbürger ein unlängst Zurückgetretener ist: Thomas Gottschalk, der sich nach einem schlimmen Wett-Unfall von „Wetten, dass ...“ verabschiedete. Aber das war ja irgendwie etwas ganz anderes.

In dem modernen Lokal hat Guttenberg das Rekordergebnis der Bundestagswahl 2009 gefeiert: 68,1 Prozent der Stimmberechtigten im Wahlkreis Kulmbach gaben ihm ihre Erststimme. Kein anderer Direktkandidat in Deutschland erhielt so eine große Zustimmung.

Krug sagt, es sei „abartig“, wie die politischen Gegner über Guttenberg herfallen würden. „Die haben Schaum vor dem Mund“, sagt er, und „So geht man nicht mit Menschen um.“ Hier in der Region würden alle hinter ihm stehen, parteiübergreifend. Da ist Otto Krug sicher.

Seit 13 Jahren kommt Guttenberg regelmäßig her. Als er noch in der Burg wohnte und noch nicht in Berlin, war er Stammgast in der Alten Feuerwache. An einer Wand des Restaurants hängt ein Foto von Krug und seinem Kompagnon, zwischen den beiden lächelt Karl-Theodor zu Guttenberg. Das Bild wurde am Wahlabend aufgenommen. Darunter hat der Freiherr geschrieben: „Danke einem starken Team.“

Und so etwas ist stärker als Zeitungsberichte, als beleidigte Wissenschaftler, als Debatten über Doktor-Titel oder nicht.

"Die Menschen hier nehmen ihm das nicht übel"

Das hat auch Manfred Biedefeld erfahren, der als Lokalredakteur der regionalen „Frankenpost“ in den vergangenen Tagen auf dem Kulmbacher Marktplatz Bürger zum Plagiatsskandal um den prominenten Franken-Minister befragte. Mal um mal notierte er dasselbe. „Die Menschen hier nehmen ihm das nicht übel“, sagt Biedefeld. „Viel wichtiger ist ihnen, dass jemand aus der Region so einen einflussreichen Posten in Berlin hat.“ Alle zwei Wochen besucht der Verteidigungsminister irgendeine CSU-Veranstaltung in seinem Wahlkreis; da, wo ein Festzelt aufgestellt wird, tritt er meistens auf, einmal auch mit Thomas Gottschalk zusammen, das war beim „Frankentag“ im vergangenen Jahr, da bekam er ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Entspannter Franke“ überreicht. Die Heimatverbundenheit schätzten die Menschen, sagt der Lokalreporter. Und er sagt voraus, dass die Bürger im Wahlkreis Kulmbach ihrem Guttenberg bei der nächsten Bundestagswahl wieder ein Rekordergebnis bescheren werden.

Es sei denn, es spreche sich mal rum, worum es bei der Affäre wirklich geht. Das denkt jedenfalls Axel Klawuhn. Er ist der Inhaber des Internetsenders Kulmbach TV, sein Team dreht auch Videos für die Facebook-Seite von Karl-Theodor zu Guttenberg. Trotzdem will Klawuhn nächste Woche einen kritischen Film über die Sache mit der Doktorarbeit für die Homepage von Kulmbach TV produzieren. „Die Menschen hier glauben, Guttenberg hätte nur ein paar Fußnoten falsch gesetzt und an ein paar Stellen etwas nicht zitiert“, sagt Klawuhn. „Dass er bewusst getäuscht hat, haben viele noch nicht verstanden.“

Einer schon. Einer hat es sogar immer gewusst. Es ist inzwischen Nachmittag, die Arbeit ist vorbei und das Gasthaus Zur Post in Guttenberg hat sich gefüllt. Am Stammtisch schimpft einer: „Schon vor zwei Jahren habe ich gesagt: Die Doktorarbeit hat er nicht selbst geschrieben. Dafür hatte er ja gar keine Zeit.“ Dann streitet der Stammtisch über die neuesten Entwicklungen im Fall Guttenberg. Jeder hat etwas zu berichten, jeder etwas anderes gelesen. „Die sollen ihn endlich mal in Ruhe lassen“, sagt einer. „Jeder von uns hat doch in der Schule geschummelt.“ Die anderen pflichten ihm bei und dann hat sich das Thema erschöpft. Dann reden sie von ihren Problemen. Davon, dass sie nicht wissen, wie lange sie ihre Arbeit noch haben und davon, dass sie schon jetzt nicht genug verdienen, um die Familie ernähren zu können. Guttenberg ist wieder weit weg. Wirt Böhnke glaubt inzwischen, dass Guttenberg einfach nur ein weiteres Thema sei, das die Menschen nutzen, um sich abzulenken von ihren eigenen Sorgen. Er sagt: „So ähnlich wie die Bundesliga.“

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