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Eine Geste sagt mehr als staatsmännische Worte: Der Bundespräsident (Mitte) und Frankreichs Staatschef François Hollande (links) umarmen den 87-jährigen Robert Hébras, einen Überlebenden des SS-Massakers in Oradour.

© dpa

Besuch im französischen Oradour-sur-Glane: Bundespräsident Gauck erinnert an SS-Kriegsverbrechen

Wie sich Hollande und Gauck an den Händen fassten, überwältigt von der Macht des Ortes, das ist ohne Frage ein bedeutender Moment für Franzosen und Deutsche. Gauck war nach Oradour-sur-Glane gekommen, um der Opfer eines SS-Massakers zu gedenken. Er ist der erste deutsche Politiker, der das tut.

Schweigend standen Joachim Gauck und Francois Hollande vor dem Altar der ausgebrannten Kirche und hielten sich für einen Augenblick stummen Gedenkens bei der Hand. Dann nahmen sie Robert Hébras, den 87-jährigen Überlebenden des SS-Massakers, der sie durch die Ruinen von Oradour-sur-Glane geführt hatte, in ihre Mitte, und drückten ihn fest an sich. Stärker als die Worte der beiden Staatsoberhäupter bei ihrem Besuch äußerten, wird diese Geste ihren Platz im Gedächtnis von Franzosen und Deutschen finden.

„Mit Entsetzen, Erschütterung und Demut“ schreibt Gauck in das Besucherbuch des Erinnerungszentrums. Für Hollande ist der Name Oradour ein „Schrei, den ich jedes Mal höre, wenn in der Welt ein Massaker begangen wird“.

Am 10. Juni 1944 war der Ort in der Nähe von Limoges von einer Einheit der SS-Panzer-Division „Das Reich“ umstellt worden. Die Bewohner wurden in der Ortsmitte zusammengetrieben, Frauen und Kinder von den Männern getrennt und in der Kirche eingesperrt. Die Männer wurden auf mehrere Scheunen verteilt. Dann eröffneten die Soldaten das Feuer, erst auf die Männer, danach auf die Frauen und Kinder , und zündeten die Scheunen, die Kirche und andere Gebäude an. 642 Menschen kamen um, nur sechs überlebten. Als die Soldaten am Abend abzogen, bestand Oradour nur noch aus Trümmern.

Oradur-sur-Glane - ein Ort des Grauens

Den Beschluss, den Ort dieses Grauens gemeinsam aufzusuchen, hatten Gauck und Hollande bei ihrer Begegnung während der Feierlichkeiten zum 150. Gründungstag der SPD in Leipzig gefasst. Wie bei seinen Besuchen in Tschechien und Italien, wo er die Märtyrer-Orte Lidice beziehungsweise Sant'Anna di Stazzema in der Toskana aufgesucht hatte, wollte Gauck auch in einem betroffenen französischen Ort ein Zeichen zu setzen. Die Wahl fiel auf Oradour, das im Bewusstsein der Franzosen wie kein anderer Ort für die von Deutschen in Frankreich begangenen Gräuel steht.

Gauck ist damit der erste hohe deutsche Repräsentant, der sich in Oradour vor den Opfern verneigt. Schon 2004 hatte der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder der Opfer von Oradour gedacht, aber nicht in Oradour selbst, sondern bei den Feiern zum Gedenken der alliierten Landung in der Normandie. Gaucks Besuch wurde in Frankreich einhellig begrüßt. „Danke, endlich!“ sagte Jean-Marcel Darthout, neben Mébras der andere heute noch lebende Überlebende.

Vor neun Jahren wäre ein Besuch Schröders womöglich noch nicht möglich gewesen. Unter den jährlich 300 000 Besuchern des Ortes sind zwar auch Deutsche, von offiziellen Visiten aus Deutschland hatte man aber nichts wissen wollen. Auch Besuche aus Paris waren unerwünscht. Zu den Gedenkfeierlichkeiten am 10. Juni wurden lange Zeit keine Vertreter der Regierung geladen. Das war eine Reaktion auf das Gesetz, das 1953 vierzehn der 21 von einem Militärgericht in Bordeaux verurteilten SS-Männer amnestierte.

Sie waren Elsässer, die zwangsweise in die Waffen-SS gezogen worden waren. Sie gelten daher, wie der frühere Präsident Nicolas Sarkozy 2010 sagte, nicht als „Verräter“, sondern als „Opfer eines Kriegsverbrechens“. Die Amnestie löste einen „administrativen Streik“ gegen Paris aus, den erst de Gaulle mit einer Reise nach Oradour beenden konnte.

In Westdeutschland wurden die verantwortlichen Täter nicht verfolgt. Ein Gericht in Ostberlin verurteilte 1983 den Offizier Heinz Barth zu lebenslänglich. Er kam 1997 frei und starb 2007. Seit Anfang 2013 ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Dortmund gegen sechs mutmaßliche Täter. Ob es je zum Prozess kommen wird, ist fraglich. Sie sind weit über 80 Jahre alt.

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