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Betteln und Hartz IV: Der strittige Euro im Hut

Ende einer Behördenposse in der deutschen Provinz: Einem bettelnden Hartz-IV-Empfänger werden die Sozialleistungen nun doch nicht gekürzt. Die Stadt Göttingen lenkt ein.

In der Universitätsstadt Göttingen brauchen bettelnde Hartz-IV-Empfänger künftig nicht mehr zu befürchten, dass die Stadtverwaltung ihnen die Sozialleistungen kürzt. Nachdem ein solcher Fall Ende vergangener Woche bundesweit Empörung ausgelöst hatte, ruderte Oberbürgermeister Wolfgang Meyer (SPD) zurück. Er ordnete am Montag an, alle entsprechenden Bescheide umgehend aufzuheben und zu korrigieren.

Der Lebensmittelmarkt, vor dem Bernd L. (Name geändert) gewöhnlich Passanten um ein paar Münzen bat, liegt nur ein paar hundert Meter vom Göttinger Rathaus entfernt. Das wurde dem Hartz-IV-Empfänger, der von 351 Euro und dem Mietkostenzuschuss ohnehin kaum über die Runden kommt, zum Verhängnis. Denn auf dem Weg in die Mittagspause kommen auch die Mitarbeiter des Göttinger Sozialamtes an dem Geschäft vorbei. Einer von ihnen hatte L. erkannt und sich zweimal ein Bild über dessen Einkünfte beim Betteln verschafft. Insgesamt 7,40 Euro zählte der Behördenmann in der Blechdose von L. und kürzte seine Sozialleistungen auf Grundlage einer „Hochrechnung“ um 120 Euro im Monat. Nach Protesten des Betroffenen reduzierte die Stadt die Kürzungen zwar auf 50 Euro, sie verteidigte ihr Vorgehen jedoch zunächst weiter als rechtmäßig. In einer dürren Pressemitteilung ließ die Verwaltung verlauten, sie sei an die Vorgaben des Sozialgesetzbuches gebunden.

Am Montag räumte die Stadtverwaltung ein, dass in zwei weiteren Fällen ähnlich verfahren worden sei. Es habe aber keine „systematische Recherche“ durch das Sozialamt gegeben. OB Meyer erklärte, er lehne eine solche Praxis ab, auch wenn man bei strenger Auslegung der Vorschriften zu dem Ergebnis kommen könne, dass Erlöse aus Bettelei als Einkommen anzurechnen seien. Wer einen Euro in den Hut werfe, wolle in einer Notlage helfen. Dieser Euro solle nicht von den Sozialleistungen abgezogen werden.

Das CDU-geführte niedersächsische Sozialministerium begrüßte das Einlenken der Stadt. „Die Korrektur ist richtig, weil das Vorgehen alles andere als sensibel war“, sagte Sprecher Thomas Spieker. Er erinnerte an Hinweise zur Sozialhilfe, die das Ministerium vor einiger Zeit an die Sozialämter verschickt hat. Darin würden die Ämter zu Augenmaß und menschlicher Vorgehensweise angehalten. Das Sozialministerium hatte die Kommune am Freitag zu einer schriftlichen Stellungnahme zu den Vorgängen aufgefordert.

Die Junge Union (JU) in Göttingen forderte den Rücktritt von Sozialdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck (SPD). Schon seit Jahren falle das Göttinger Sozialamt durch zutiefst unsoziale Handlungen auf, befand die JU. Immer wieder gebe es Klagen über die Diskriminierung von Sozialhilfeempfängern durch die Behörde.

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