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Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Noch lange nicht. Eine Protestveranstaltung zum Equal Pay Day in Berlin.

© dpa

Bezahlung von Frauen und Männern: Je mehr Gleichberechtigung, desto stärker die Demokratie

Eine Studie des Weltwirtschaftsforums prophezeit, dass es noch rund 170 Jahre dauern wird, bis Männer und Frauen weltweit den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen. So lang – oder so kurz? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Als meine Großmutter, geboren 1899, zum ersten Mal wählen durfte, gehörte sie zu den allerersten Frauen in Deutschland, die dieses Recht erhalten hatten. Oft hat sie von dem Tag in der Weimarer Republik erzählt, der für sie so wichtig war: Ihre Stimme zählte! Zur Wahl standen freilich, in der großen Mehrheit, Männer. Aber immerhin, auch die Frauen entschieden mit, nach hunderten, tausenden Jahren.

Rapide scheint sich die Welt seither verändert zu haben. In Deutschland regiert eine Kanzlerin, in Großbritannien eine Premierministerin, in den USA steht zum ersten Mal eine Frau als Präsidentin zur Wahl. Wie es dort ausgeht ist ungewiss. Aber Grund zur Verzweiflung besteht nicht. Die Geschichte geht weiter. Sie ist nicht nur eine dialektische Schnecke, die jeweils eine Strecke vorankommt, und sich dann einen Teil der Strecke wieder zurückzieht. Sie ist auch ein Berg. Wir stehen auf dem Berg der Geschichte, dessen Oberfläche wir Gegenwart nennen. Und das Innere des Berges kennen wir nur in Fragmenten.

Vor wenigen Tagen prophezeite eine Studie des Weltwirtschaftsforums in Genf, dass es, vorausgesetzt die Entwicklung setzt sich fort, noch rund 170 Jahre dauern wird, bis Männer und Frauen weltweit den gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen. So lang – oder so kurz? Auf die lange, labyrinthische Geschichte der Gattung zu blicken, rückt das Heute in ein anderes, weniger flackerndes Licht. Dann denkt es sich nicht in Legislaturperioden, sondern in vielen Generationen und Epochen, und Verzweiflung weicht dem Optimismus. 

Der Tag, an dem die Großmutter, Kläre Fetscher, Tochter des Gastwirtspaars zur Post in Marbach am Neckar, zur Wahl ging, scheint lange her. Historisch gesehen war das vor ein paar Tagen erst. Dieselbe Großmutter hatte eine alte Kinderfrau, geboren um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie konnte sich daran erinnern, wie ihre Urgroßmutter mündlich überlieferte Geschichten aus dem Dreißigjährigen Krieg erzählte, aus den Jahren von 1618 bis 1648. Damals entfesselten männliche Machthaber in halb Europa Kämpfe zwischen Lutheranern und Katholiken. So lang her, so kurz erst her.

Empört euch? Ja, klar. Beruhigt euch? Das auch.

Heute umarmen sich Geistliche beider Konfessionen im Lutherjahr und Frauen bekleiden überall in rechtsstaatlichen Demokratien einflussreiche Posten. Zugleich bewegt sie andernorts die Geschichte wieder rückwärts, in Angst vor der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Stellvertreter des Patriarchats – etwa Putin, Erdogan, Trump oder auch Salafisten – fürchten den ultimativen, unaufhaltsamen Fortschritt, die globalen, gleichen Rechte von Männern und Frauen.     

Johann Jakob Bachofen, ein Schweizer Altertumsforscher, erklärte 1861 als einer der ersten, dass vor dem Patriarchat ein Matriarchat existierte. Er nannte die frühe Gesellschaftsform „Gynaikokratie“, Frauenherrschaft (auf Deutsch leicht irreführend, da in „Herrschaft“ ein „Herr“ enthalten ist). Solange die Abstammung, und damit Erbe, Besitz, Clanzugehörigkeit und so fort, allein von der Mutterschaft hergeleitet werden konnte, waren Muttergöttinnen der religiöse Renner. Blieb dann, in der Sesshaftigkeit, dieselbe Frau mit demselben Manne im Haus, konnte der Nachwuchs nur der seine sein, der des Patriarchen. Das abzusichern brauchte es Gewalt, die für das Patriarchat konstitutiv und von Frauen mitgetragen wurde. Gewaltverhältnisse deformieren alle. Alle Kinder, alle Frauen, alle Männer. Eine Heilige Maria, die liebende Verbindung zwischen Mutter und Kind, Kind und Welt, schien besonders vorstellbar im Verzicht auf die Idee des mit Zwängen verbundenen Zeugungsakts der Tradition.

Gesellschaften, erklärte der Soziologe Niklas Luhmann, können sich kaum selber beobachten, analysieren. Doch immerhin - einige Stollen in den Berg der Geschichte können wir heute treiben, und analytische Lichter mitnehmen. Dann lässt sich erkennen: Je gleicher die Rechte und Chancen von Männern und Frauen, je stärker die Demokratie, je größer und institutionalisierter der Gewaltverzicht, desto mehr gewinnt eine Gesellschaft. Jede. Stimmt, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist noch immer gigantisch. Es kann noch 100, 170 oder 240 Jahre dauern, bis die Balance der Gattung bei ihrer Wanderung auf dem Berg der Geschichte so einigermaßen gefunden wird. Vielleicht stapft demnächst ein Trumpeltier als Machtmann auf dem Berg der Geschichte herum. Tragisch, falsch, traurig. Aber nicht das Ende der Welt, sondern nur eine weitere Etappe auf dem Weg, der dann doch zu den gleichen Rechten führen wird.

Empört euch? Ja, klar. Beruhigt euch? Das auch. Vor allem anderen kommt es darauf an, dass bei immer mehr Menschen der demokratische Kompass geeicht ist. Seine Nadel wird vom stärksten Magneten angezogen: vom Optimismus.

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