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Politik: Bielefeld und die Toskana

Italien feiert 150 Jahre Einheit. Die deutsch-italienische Liebe ist bloß ein Klischee

Berlin - Ob Deutschland in zehn Jahren 150 Jahre Reichsgründung feiern wird? Inzwischen ist schließlich ein demokratischeres Datum dazwischengekommen, die Einheit von 1990. Italien, das in diesen Tagen 150 Jahre Nationalstaat begeht, ist aus anderen Gründen nicht in reiner Feststimmung. Nicht nur, weil viele Lasten von damals – der Mezzogiorno ist eine – bis heute drücken. Gerade wird das Land auch von einer Partei mitregiert, der Lega Nord, die das Kapitel Einheit lieber heute als morgen schließen würde.

In Berlin war dies in dieser Woche nur am Rande ein Thema. Eine Tagung des Italienischen Kulturinstituts und der Humboldt-Universität zum Jubiläum widmete sich den Beziehungen beider Länder in 150 Jahren und dem Blick aufeinander. Auf die vielen Parallelen der Anfangsjahre verwiesen dabei die Historiker Wolfgang Schieder und Gian Enrico Rusconi: Zwei „verspätete“ Nationen, beide autoritär von oben geeint – wenn auch im Falle Italiens ergänzt und getrieben durch Garibaldis Brigaden –, zwei führende Teilstaaten Preußen und Piemont, zwei Führungspersönlichkeiten, Cavour und Bismarck, „zwischen Liberalismus und Cäsarismus“ (Rusconi) und zwei Länder, die die Umwälzungen, die ganz Europa betrafen, in „Fundamentalkrisen“ stürzten. Nur Deutschland und Italien, so Schieder, hätten Nationbildung, den Weg zum Verfassungsstaat und den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft praktisch gleichzeitig verkraften müssen.

Dem faschistischen Italien und Hitlers NS-Deutschland spürten Brunello Mantelli (Turin) und Christoph Cornelißen (Kiel) nach. Die beiden Faschismen, so Mantelli, deren einer, der deutsche, der radikalere war, endeten auch für die beiderseitigen Beziehungen in der Katastrophe. Aus den Verbündeten waren zwischen 1943 und 1945 Besatzer geworden; die deutschen Massaker an der Zivilbevölkerung sind bis heute nicht nur Teil offiziellen Gedenkens, sondern Erinnerung vieler Überlebender.

Die Berliner Historikerin und Übersetzerin Friederike Hausmann sprach über Italiens Deutschlandbilder – unmöglich, so Hausmann, von nur einem zu sprechen – nach 1945. Antikommunismus, Westbindung, Europa, all dies betrieben von zwei Christdemokraten, Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer, banden beide Länder aneinander, freilich eher in einer „krisengeschüttelten Ehe“ als in enger Partnerschaft. Die parallele Deutschlandpolitik der Kommunistischen Partei galt bis in die 60er Jahre der DDR, die späte Hinwendung zur SPD beantwortete die eher kühl. Hausmanns ernüchterndes Fazit: Ein Beginn als Notgemeinschaft, am Ende stehen wachsendes Misstrauen und Desinteresse auf deutscher Seite.

Hassliebe, Klischees, dauerndes Schwanken zwischen Verehrung und Verdammung mit deutlich negativer Schlagseite entdeckte Christian Jansen (TU Berlin), der dem deutschen Italienbild in den Berichten der bürgerlichen Leitmedien „Zeit“ und „Spiegel“ nachging. Mafia und Korruption gegen Sonne, Chianti, Schönheit – es scheint, als suchten die Deutschen im Lieblingsland im Süden stets die unmögliche Summe der Gegensätze. Wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler, der einst auf die Frage nach seinem Sehnsuchtsort sich ein „Bielefeld unter toskanischem Himmel“ wünschte.

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