zum Hauptinhalt

Politik: „Bildung muss zum Top-Thema der Reformpolitik werden“

Reinhard Bütikofer über Versäumnisse der großen Koalition, Horst Köhler als Verbündeten und grüne Politik in Original und Kopie

Herr Bütikofer, lange haben Sie allein für das Thema Energie- und Klimapolitik gekämpft, inzwischen ist es in der Mitte der Gesellschaft angekommen: eine Gefahr für die Bündnisgrünen?

Es ist ein Fortschritt, dass wir nicht mehr die einzige Partei sind, die vom Klima redet. Aber die Menschen unterscheiden zwischen Original und Kopie. Das gibt uns die Chance, treibende Kraft zu sein. Wir wollen, dass Deutschland die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 senkt. Wir zeigen auch konkret, wie das geht: mit ehrgeizigem Emissionshandel und auch mit Ordnungsrecht. Und wir machen deutlich: Die Menschen können selbst handeln, etwa indem sie auf erneuerbaren Strom umsteigen und damit helfen, fossile Kraftwerke und Atomkraftwerke zu ersetzen.

Hat nicht Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gerade in der Umweltszene einen guten Ruf?

Viele rechnen ihm seinen Widerstand gegen die Atompolitik der Union hoch an. Aber der Emissionshandel ist kein Glanzstück Sigmar Gabriels, da kritisieren ihn auch die Umweltverbände scharf. Er verliert im Moment viel von dem Respekt, den er sich anfangs mit schönen Reden erworben hat. Die Bundesregierung hat die Klima- und Energiepolitik zu einem der Kernelemente ihrer EU-Ratspräsidentschaft erklärt. Da ist es mehr als peinlich, dass sie das Jahr mit einem Konflikt mit der EU-Kommission anfängt, weil sie sich weigert, die klimapolitischen Hausaufgaben zu erledigen.

Was ist die deutsche Aufgabe für die Ratspräsidentschaft?

Neben dem Verfassungsvertrag ist schon Klimapolitik das Hauptthema. Europa kann da eine Vorreiterrolle spielen. Wir haben Deutschland auf dem Feld einen Vorsprung verschafft. Wir haben gezeigt, dass mit erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung wirtschaftlicher Erfolg und ein Zuwachs von Arbeitsplätzen verbunden sind. Wenn Industrieverbände nun von der Bundesregierung Schutz vor ehrgeizigen Zielen in der Klimapolitik und beim Emissionshandel verlangen, stellen sie sich gegen ökonomischen Fortschritt. Immer wenn es zum Konflikt kommt, kuscht die Bundesregierung bisher vor den Wirtschaftsverbänden. Dabei liegt die Reformagenda für die Zukunft viel stärker im ökologischen Bereich, als das die große Koalition bislang erkannt hat.

Zum Anfang des Jahres wird wieder grundsätzlich über Reformpolitik debattiert. Ist das Land reformmüde?

Reformpolitik ist auch in den vor uns liegenden Jahren notwendig. Streitig ist die Richtung der Reformpolitik. Wer aber behauptet, ohne Reformen könnten wir unser Niveau halten, verbreitet Illusionen.

Meinen Sie damit SPD-Chef Kurt Beck?

Kurt Beck weiß selbst, dass er die Reformpolitik nicht beenden darf. Er nennt ja auch Reformaufgaben. Beck will den Menschen Hoffnung machen, dass ein „Ende der Zumutungen“ komme. Das lädt zu Missverständnissen ein. Richtig ist aber: Demokratische Politik kann keinen Erfolg haben, wenn sie die Menschen nicht auch die Vorteile von Reformpolitik erkennen lässt. Auch da versagt die große Koalition.

Der Bundespräsident scheint Gefallen an der Rolle des Reformantreibers zu finden. Ist Horst Köhler ein neuer Verbündeter der Grünen?

Unser Bekenntnis zu Reformpolitik ist kein Blankoscheck für Forderungen, wie sie dem Bundespräsidenten vorschweben. Horst Köhler agiert wie einer der letzten Mohikaner des neoliberalen Zeitgeistes. Uns Grünen kommt es auf eine Reform der Reformagenda an. Bildung muss zum Top-Thema der Reformpolitik werden. Durch Innovationen in Forschung und Wirtschaft sind die ökologischen Herausforderungen anzunehmen. Wenn es um die Reform des Arbeitsmarktes geht, halten wir eine Mindestlohnregelung für ganz wichtig. Das sieht der Bundespräsident wie die meisten Konservativen anders. Wir wollen einen zweiten Arbeitsmarkt mit festen Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose, die sonst keine Chance haben, wir wollen mit Steuermitteln niedrig bezahlte Arbeit bei Sozialversicherungsbeiträgen entlasten.

Die große Koalition verschiebt die Gesetzgebung zur Gesundheitsreform. Ist das eine Chance für Verbesserungen?

Die Gesundheitsreform ist in ihrer jetzigen Konzeption ein Verhängnis. Die große Koalition organisiert eine systematische Unterfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Künftig soll nur die Politik über Beitragserhöhungen entscheiden können. Die Folgen davon liegen auf der Hand: Entweder werden Leistungen der Kassen begrenzt oder die Kosten für gesundheitliche Risiken Schritt für Schritt weiter privatisiert. Beides droht das solidarische Versicherungssystem zu zerstören.

Die große Koalition hat die Gesundheitsreform zum Test ihrer Handlungsfähigkeit erklärt. Muss sie das Projekt nicht allein deshalb verabschieden?

Das wäre zynische Politik. Wer so argumentiert, sollte das Wort Reform nicht mehr in den Mund nehmen. Diese Gesundheitsreform bringt niemandem Vorteile. Die einzige vernünftige Lösung wäre ein schneller Stopp dieses Vorhabens.

Die Fragen stellten Hans Monath und Antje Sirleschtov.

Reinhard Bütikofer (53) ist seit 2002 Vorsitzender der Grünen. Als Bundesgeschäftsführer trug er maßgeblich zur Neufassung des Grundsatzprogramms der Partei bei.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false