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Bildungspolitik: Elefant im Schülerladen

Der Bund beginnt, sich in die Bildungspolitik zu drängen, wo er bisher eine untergeordnete Rolle spielte. Doch was taugt das Hauptargument, dass es für Familien schwierig sei, in ein anderes Bundesland zu ziehen?

Der Bund beginnt, sich mit Macht in die Bildungspolitik zu drängen, wo er bisher – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Die große Bildungspartnerschaft von Bund, Ländern und Kommunen wird in allen Parteien beschworen, auch wenn die Untertöne jeweils anders gesetzt werden. Sozialdemokraten sind seit jeher auf mehr Einheitlichkeit gepolt, bei den Grünen wird über ein Bundesschulgesetz nachgedacht. Aber auch CDU und FDP werden auf den in einer Woche anstehenden Parteitagen beratschlagen, wie viel Zentralisierung das deutsche Bildungssystem braucht. Die Parteiführungen glauben, es müsse mehr Kooperation, mehr Koordinierung, mehr Lenkung, mehr Vergleichbarkeit geben – mal zwischen den Ländern, mal vom Bund her. Die Kritiker der Zentralisierungstendenz sind in beiden Parteien mittlerweile in der Minderheit. Der „Pisa-Schock“ hat Wellen geschlagen.

Und so wird auf den Parteitagen in Frankfurt am Main, wo die Liberalen sich treffen, und Leipzig, wo die CDU zusammenkommt, viel davon die Rede sein, dass man den Föderalismus anpassen müsse an neue Wirklichkeiten, dass man ihn fortentwickeln müsse, dass man zwar die Kultushoheit der Länder achten wolle und auch den Wettbewerb um bessere Lösungen weiterhin für richtig halte.

Aber das Anliegen lautet: Der Bund muss eine stärkere Rolle bekommen. Die FDP will die Kultusministerkonferenz entmachten, die CDU mehr gemeinsame Bildungsplanung. Das Kernabitur, das Bildungsministerin Annette Schavan favorisiert – es ist der erste Schritt zum bundesweiten Lehrplan. Der Einstieg in einen schleichenden Prozess. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden auf den Parteitagen auch wieder jene Schlagworte fallen, die immer zu hören sind, wenn es um den Föderalismus geht: Kleinstaaterei, Flickenteppich, Zersplitterung. Es wird Chaos an die Wand gemalt: 16 Schulsysteme, hunderte Lehrpläne, kein Durchblick, nirgends.

Und dann folgt das Kernargument: Familien sei es nahezu unmöglich, von einem Bundesland ins andere zu ziehen, weil Schulwirrwarr das verhindert. „Mehr Bildungsmobilität“ heißt daher das Motto bei der FDP. Auch Schavan sieht im Bildungsföderalismus ein Mobilitätshindernis. Es ist ein Argument, das die bildungspolitische Debatte schon länger beherrscht und kurz gefasst lautet: Wir können nicht umziehen, die Länder behindern die Entwicklung des deutschen Volkes, also muss der Bund ran.

Doch wie stichhaltig ist das Argument? Wie groß ist das angebliche Mobilitätsproblem überhaupt? Die Antwort lautet: Es ist da, aber doch sehr klein. Schavan selber nennt die Zahl von rund 80 000 Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren, die jährlich von einem Land in ein anderes ziehen. Diese Zahl ist seit Jahren recht konstant. Bei etwa 9,3 Millionen in diesem Alter sind also etwa 0,9 Prozent im Jahr von Umzug und einem damit verbundenen Schulwechsel in ein anderes Land „bedroht“. Eine Zahl aus Bayern bestätigt die Größenordnung. Eine Anfrage aus dem Münchener Stadtrat an die Verwaltung ergab unlängst für die süddeutsche Metropole: Zuzüge aus anderen Ländern 0,5 Prozent, Wegzüge in andere Länder 0,7 Prozent der Schülerschaft. Auf dem flachen Land dürften die Quoten darunter liegen.

Über die gesamte Schulpflichtzeit hinweg liegt die Wahrscheinlichkeit wohl bei etwa acht Prozent, dass es einen Schüler trifft. Das sieht auf den ersten Blick nach viel aus. Freilich muss man, wenn man ein großes gesellschaftliches Problem konstruieren will, die Kinder im Grundschulalter abziehen. Denn zumindest in den ersten vier Jahren sind die Unterschiede beim Lernen über die Länder hinweg nicht wirklich groß. Dann bleiben statistisch 60 000 Umzugskinder pro Jahr.

Dazu kommt, dass in der Zahl auch jene Kinder erfasst sind, deren Eltern nur den kleinen Sprung zwischen Stadtstaat und Umland oder umgekehrt machen. Beim Umzug von Berlin nach Brandenburg oder vom niedersächsischen Stadtrand Hamburgs in die Hansestadt dürfte der Schulwechsel aber leichter zu meistern sein als etwa zwischen Bayern und Berlin. Die meisten Umzüge finden ohnehin zwischen Nachbarländern statt. Außerdem endet nicht jeder Umzug in einer schulischen Katastrophe. Kurzum: Betrachtet man Zahlen und Umstände nüchtern, dann schrumpft das angeblich gravierende Mobilitätsproblem immer mehr zusammen auf eine jährliche Ziffer von wohl deutlich unter 0,5 Prozent.

Natürlich erleben Familien, die umziehen müssen, nicht selten Bürokratismus, umständliche Verfahren, unwillige Lehrer. Hier müsste angesetzt werden. Dass der Schulwechsel in andere Länder aber ein Massenproblem ist, wird man kaum sagen können. Das Phänomen, das die Kritiker des Bildungsföderalismus hochreden, ist in Wirklichkeit begrenzt. Macht die Politik hier eine Mücke zum Elefanten?

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