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Politik: Bis an die Grenze

Lambsdorff hält Möllemann als FDP-Vize inzwischen für untragbar. Der sieht sich als Opfer einer Intrige

Von C. Böhme, R. v. Rimscha

und A. Sirleschto v

Jürgen W. Möllemann gibt keine Ruhe. Zwei Tage vor der Bundestagswahl trieb der stellvertretende FDP-Vorsitzende und Chef den Landesverbandes Nordrhein-Westfalen des Machtkampf mit der Berliner Parteiführung auf die Spitze. Nachdem prominente FDP-Politiker am Freitagvormittag öffentlich über seine bevorstehende Ablösung im Bundesvorstand spekulierten, verschickte Möllemann gegen Mittag rund 200 Briefe an „Funktionsträger“ in NRW und Berlin. Darin warf er „führenden Parteimitgliedern und solchen, die es werden wollen“ vor, ihn zu „attackieren und damit unsere Wahlchancen zu schmälern“. Er selbst sei mit „202 Wahl-Veranstaltungen und 75 Fallschirmabsprüngen bis an die Grenzen meiner Kraft“ gegangen, um ein gutes Wahlergebnis für die FDP zu erreichen, verteidigte sich der FDP-Vize, und drohte, es sei „mir nicht verborgen geblieben, wer da erneut parteischädliche Intrigen schmiedet“.

Ob dieser neuerlichen Attacke von Möllemann hieß es darauf im Berliner Thomas- Dehler-Haus, sei „einigen Mitgliedern der Parteiführung die Kinnlade heruntergefallen“. Offenbar rechnete man ernsthaft damit, dass Möllemann den Hinweis vom Vortage, Westerwelle, Genscher und Co. wollten nun nicht mehr mit ihm im Wahlkampf auftreten, akzeptiert hätte. Schließlich sei die Zurückweisung ja klar formuliert und am Ende sogar zelebriert worden (was zuvor nicht selbstverständlich schien).

Doch weit gefehlt. „Er kämpft jetzt“, deutete Möllemanns Umfeld die Zeilen des Vorsitzenden und sah ein Heer liberaler Westfalen hinter ihm, die am Sonntag in NRW ein beeindruckendes Wahlergebnis einfahren und damit Möllemanns Kritiker bei der montäglichen Präsidiumssitzung in Berlin jäh verstummen lassen werden. „Ich wette darauf, dass wir (bundesweit) mehr als 12,6 Prozent holen“, verbreitete denn auch Möllemann als Ankündigung seiner selbst in der Sonntags-Talk-Show von Sabine Christiansen.

Doch nach Vergebung steht den FDP-Granden offenbar nicht mehr der Sinn. Ganz gleich, wie die Wahl ausgeht. „Keine Chance mehr auf nichts“ hieß die (fast) einhellige Parole für den Montag nach der Wahl. Wird das NRW-Ergebnis respektabel, werde man es Guido Westerwelle „trotz Möllemann“ danken. Wenn nicht, sei der Schuldige ja bereits ausgemacht.

Ganz klar: In der FDP wird der Boden für den Abschied vom Vize bereitet. Otto Graf Lambsdorff, der Ehrenvorsitzende, hält Möllemann jedenfalls als Parteivize für nicht mehr tragbar. „Wer fünf Tage vor der Bundestagswahl der FDP einen solchen Knüppel zwischen die Beine wirft, der schadet der Partei und dem Vorsitzenden“, sagte Lambsdorff dem Tagesspiegel. Und wer den Liberalen so schade, der könne nicht in seinem Amt bleiben. Darüber habe aber ein Bundesparteitag zu entscheiden.

Zum Hintergrund: Möllemann hatte vor kurzem in einem Wahlkampf-Flugblatt in Nordrhein-Westfalen Israels Ministerpräsidenten Ariel Scharon und den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, scharf angegriffen. „Diese Aktion, mit der die Grenze zur Intoleranz überschritten wurde, war mit keinem abgesprochen, und sie hat unseren Wahlkampf beschädigt“, beklagt der Ehrenvorsitzende. Nur auf dem privaten Draht zu Freunden wie Wolfgang Kubicki hat Möllemann vorab wissen lassen, in Sachen Nahost werde er nachlegen.

FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper hat bereits das Forum benannt, auf dem über Möllemann beraten wird. Am Montag kommt das Präsidium zusammen. Es gehöre zur „Normalität“, so Pieper, dass bei einer solchen Sitzung über „alles, was vor der Wahl vorgefallen ist“, gesprochen werde. Und damit auch alles vorbereitet ist, wird im Landesverband schon über eine Nachfolge gemunkelt: Stefan Grüll, der Fraktionsvize in Düsseldorf, wird als besonnener Mann gelobt.

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