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Warnung vor neuem Extremismus. Der scheidende Chef des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen, Burkhard Freier, sieht in den Coronaprotesten den Ansatz für langanhaltende Staatsverachtung.

© Marcel Kusch/dpa

Bis zu 100.000 Querdenker in NRW im Internet: Verfassungsschutz sieht „riesengroße virtuelle Szene“

Der scheidende Chef des Verfassungsschutzes NRW warnt vor einer Radikalisierung in der Mitte der Gesellschaft. Die Abgrenzung zu Rechtsextremen lasse nach.

Von Frank Jansen

Die Zahlen sind horrend. Allein in Nordrhein-Westfalen beteiligen sich im Internet nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zwischen 50.000 und 100.000 Menschen an den Protesten von Coronaleugnern und Impfgegnern, unter anderem beim Messengerdienst Telegram. „Wir haben bei den Coronaleugnern eine riesengroße virtuelle Szene“, sagte am Freitag der scheidende Chef des Verfassungsschutzes NRW, Burkhard Freier, in einer Videopressekonferenz zu seinem Abschied nach neuneinhalb Jahren Amtszeit. Freier betonte, das seien nicht alles Extremisten, „da sind auch Neugierige dabei“.

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Auf der Straße seien bei den Demonstrationen an manchen Tagen bis zu 30.000 Personen unterwegs. Der harte Kern der Szene ist allerdings wesentlich kleiner. Freier sprach von 300 Personen, die als Organisatoren und Rädelsführer „die Ideologie weiter vorantreiben“.

Der Verfassungsschützer befürchtet, dass auch nach der Pandemie tausende radikalisierte Personen übrig bleiben, die gegen die Demokratie agieren. Die Zahl wird nach Ansicht Freiers größer sein als die der Rechtsextremisten in NRW, aktuell sind das 4000. Sorgen bereitet dem Verfassungsschutz zudem die wachsenden Nähe zwischen Extremisten und bürgerlichen Milieus. „Wir sehen, dass Extremisten immer mehr versuchen, auf die Mitte der Gesellschaft zu kommen“, sagte Freier.

Es gehe nicht einmal bei Hardcore-Extremisten wie der rechtsextremen Kleinpartei der „Der III. Weg“ darum, sich abzugrenzen und allein zu bleiben. Die Neonazitruppe organisiert auch außerhalb von NRW Demonstrationen, bei denen viele bislang unauffällige Bürger mitlaufen. „Wir stellen fest, dass so etwas wie eine neue Mitte entsteht“, sagte Freier. Teile der Gesellschaft hätten keine „Abgrenzungsreflexe mehr zu Rechtsextremisten“. Freier verwies allerdings auch auf die Versuche von Linksextremisten, bei Klimaprotesten wie Fridays for Future mitzumischen.

Problematische Rolle der AfD in der Pandemie

An der Radikalisierung von Coronaleugnern und Impfgegnern beteiligt sich nach Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern auch die AfD. Das Verhalten der Partei in der Pandemie dürfte auch beim Rechtsstreit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zur Sprache kommen. Das BfV hatte die AfD im Februar 2021 als rechtsextremen „Verdachtsfall“ eingestuft, das Verwaltungsgericht Köln stoppte aber die Behörde im März wegen einer Klage der Partei.

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Das 1001-seitige Gutachten des BfV zum Verdachtsfall hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, punktuell etwas entschärft. Ein Grund: die von AfD-Politikern zu hörende Parole „der Islam gehört nicht zu Deutschland“ hatte einst auch Seehofer von sich gegeben.

Im Gutachten des BfV wurde nach Seehofers Intervention noch stärker darauf hingewiesen, dass die Aussage nur im Kontext mit anderen Abwertungen geeignet sei, Muslime zu diffamieren.

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