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Politik: Bis zum letzten Funken Hoffnung

DIE IRAK-POLITIK

Von Christoph von Marschall

Sage keiner, es gebe eine Automatik zum Krieg. Ja, viele haben dieses Gefühl: dass ein Verhängnis seinen Lauf nimmt, unaufhaltsam – aber das ist nicht so. Der Mechanismus, den der UNSicherheitsrat mit der Resolution 1441 in Gang gesetzt hat, lässt sich jederzeit stoppen. Zuallererst von Saddam Hussein: Er müsste nur der Forderung nachkommen, seine Rüstung lückenlos offen zu legen und verbotene Waffen unter Aufsicht zu zerstören. Dann hätten Bush und Blair keine Handhabe für die angedrohten „ernsten Konsequenzen“.

Der UN-Sicherheitsrat ist frei in seiner Entscheidung. Sicher, er hat Saddam im November einstimmig mit Krieg gedroht, falls der nicht voll kooperiert. Und, Hand aufs Herz, das tut er bis heute nicht. Das zwingt den Sicherheitsrat aber noch nicht automatisch, das Signal zum Angriff zu geben. Er darf, ja muss immer wieder abwägen, ob das Ziel der Abrüstung ohne Krieg zu erreichen ist oder ob nichts anderes mehr bleibt, als die Drohung wahr zu machen.

Die Stärkung oder Schwächung des Sicherheitsrats als oberste Instanz der Weltpolitik hängt so oder so davon ab. Setzt er sich gegen Saddam durch, müssen ihn auch andere Diktatoren ernst nehmen. Lässt der Sicherheitsrat anhaltenden Rechtsbruch nach dieser klaren Sanktionsdrohung durchgehen, verliert er Autorität. Aber darf er einen Krieg allein deshalb autorisieren, weil er ihn angedroht hat? Da muss es um mehr gehen: um eine unmittelbare Gefahr, die sich nur militärisch abwenden lässt.

Das gilt auch für George W. Bush. Viele sagen ihm nach, er habe sich längst für den Krieg entschieden, UN hin oder her. Doch auch er weiß, dass er die Welt von seinem Anliegen überzeugen muss. Sonst leidet Amerikas Ansehen Schaden. Und es wächst der Hass auf die USA, vielleicht sogar die Terrorgefahr, die Bush doch bekämpfen will. Eindringliche Bilder wie 1999 im Kosovo – brennende Dörfer, Hunderttausende auf der Flucht –, gibt es im Irak nicht. Und kein weltweites Gefühl wie unter dem Eindruck der einstürzenden Türme von New York, dass Terrorlager schnellstens zerstört werden müssen, um eine Wiederholung zu verhindern. Auch Bush wird den Krieg vermeiden, wenn der mutmaßliche Schaden für die USA größer ist als der Nutzen.

Die Lage ist nicht eindeutig, das erschwert die Entscheidung – aber es macht auch Hoffnung. Klar ist: Saddam befolgt die Resolution nicht. Doch wiegen die Verstöße so schwer, dass dies Krieg rechtfertigt? Und warum haben die Inspekteure nach fast drei Monaten noch keine Spuren des angeblichen Arsenals hochgefährlicher Bio- und Chemiewaffen gefunden: weil es sie nicht gibt oder weil Saddam sie so gut versteckt?

Es ist ja wahr: Die Beweislast liegt eigentlich bei Saddam; er muss die Vernichtung verbotener Waffen nachweisen und nicht die Inspekteure deren Existenz – mit gerade mal hundert Mann in einem Land von der Größe Frankreichs. Dennoch: Der mühselige Streit um Verdachtsmomente und technische Details nützt nicht Bush, sondern Saddam. Der hält die Inspekteure hin und wartet ab, dass Unsicherheit die Weltgemeinschaft lähmt. Oder sogar spaltet.

Deshalb rettet sich Bush in seinem jüngsten Resolutionsentwurf in den Appell, der Sicherheitsrat solle feststellen, dass Saddam gegen die Resolution 1441 verstößt. Das käme einer Kriegsermächtigung sehr nahe – was Frankreich, Deutschland und andere Kriegsgegner in die Bredouille bringt. Die Drohkulisse wollten sie schon. Auch sie wissen, dass der US-Aufmarsch die neuen Rüstungskontrollen erzwungen hat. Aber Krieg wollen sie nicht, bestimmt nicht jetzt.

Konsequent zu sein, ist das ein Zeichen für Stärke? Oder für Flucht, weil kein anderes Kriegsargument sticht? Selbst Hans Blix, der bisher so geduldige Chefinspekteur, scheint sich in der Logik-Falle zu verfangen. Zum ultimativen Glaubwürdigkeitstest macht er nicht den Nachweis, wo Komponenten für gemeingefährliche Bio- und Chemiewaffen geblieben sind, sondern die Zerstörung der Al-Samoud-2-Raketen: Raketen, die 180 statt der erlaubten 150 Kilometer weit fliegen. Saddam weigert sich. Und nun – Krieg wegen 30 Kilometern Differenz?

Bush hat die Logik der Resolution 1441 auf seiner Seite. Aber das genügt nicht. Nicht, solange Hoffnung besteht, Saddam ohne Krieg unter Kontrolle zu halten.

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