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Politik: Blick nach draußen

Am Tag der Einheit redet der Kanzler lieber über Außenpolitik – und erntet für sein Nein zum Irak-Krieg Kritik

Von Matthias Schlegel

Petra Pau und Gesine Lötzsch, die beiden verbliebenen PDS-Bundestagsabgeordneten, nehmen ihre Plätze in der vierten Reihe der Magdeburger Stadthalle schon 20 Minuten vor Beginn des Festaktes ein. Sicher ist sicher, mögen sie sich, gewarnt aus parlamentarischer Erfahrung, sagen. Als Edmund Stoiber den Saal betritt, kommt Beifall auf.

Den kriegt der Bundeskanzler später nicht, aber weil Gerhard Schröder an der Seite des Bundespräsidenten erscheint, erheben sich alle von den Plätzen. Und Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck unterbricht sein intensives Gespräch am Fuß der Bühne mit seinem Thüringer Amtskollegen Dieter Althaus.

Die Dramaturgie des Feiertages wirkt sorgfältig durchdacht: Der geistigen Erbauung beim ökumenischen Gottesdienst morgens im Magdeburger Dom folgt mit der Enthüllung eines Denkmals die Würdigung des 89er Bürgerwillens, ehe mittags die großen Reden das Pathos des Anlasses bedienen. Der Rest des Tages ist ausgelassener Fröhlichkeit bei Lindenberg und Co. oder dem Shoppen in den einladend geöffneten Magdeburger Geschäften vorbehalten.

Der Tag der Einheit hat in der Hauptstadt Sachsen-Anhalts bei seiner 13. Wiederkehr eine würdige Heimstatt gefunden, wenngleich der Festakt mit der Stadthalle ein Domizil hat, das an Hässlichkeit kaum zu überbieten ist. Bei der Feier selbst ist die Rollenverteilung klar: Regierungschef Wolfgang Böhmer ist als ostdeutscher Gastgeber und amtierender Bundesratspräsident der eindringliche Mahner: „Wir haben nach 13 Jahren deutscher Einheit noch keinen gemeinsamen Maßstab, kein gemeinsames Koordinatensystem, mit dem wir Erfolge der vergangenen Jahre messen und mit dem wir Lösungen für Aufgaben der Gegenwart suchen.“ Die größten Probleme seien freilich „gesamtdeutsche und gehen uns alle an. Nur der Handlungsdruck wird wegen der noch ungünstigeren wirtschaftlichen Lage in den neuen Ländern viel stärker empfunden als möglicherweise in den anderen“.

Eine Vorlage will der CDU-Mann dem nachfolgenden Redner Gerhard Schröder geben, als er klarstellt, die Bürger würfen den Politikern nicht vor, „dass wir nicht alle einer Meinung wären. Aber sie werfen uns vor, dass wir nicht bereit oder fähig wären, die eigenen Grenzen zu überwinden und konkrete Lösungen für jene Probleme zu finden, die sie bedrücken“.

Doch der Kanzler hat keine Lust, von Magdeburg den Ruf nach parteiübergreifender Einigkeit ausgehen zu lassen. Er sieht seinen Part an diesem Tag darin, den europäischen Visionär zu geben: Deutsche Friedenspolitik sei eine Politik in Europa, für Europa und von Europa aus. Das geeinte Deutschland könne sich heute notwendigen Entscheidungen in der Außenpolitik nicht mehr entziehen, weil es nicht mehr auf die Vergangenheit oder mangelnde Souveränität verweisen könne. Er sei stolz darauf, dass die Deutschen auf dem Balkan und in Afghanistan militärische Verantwortung übernommen hätten.

So weit mag ihm Festredner Imre Kertesz wohl folgen. Doch an Schröders Genugtuung, Nein gesagt zu haben, „wo wir überzeugt waren, dass die angenommene Bedrohung die Gefahren und Konsequenzen eines Krieges nicht rechtfertigt“, reibt sich der Literatur-Nobelpreisträger. „Ich bin überzeugt, dass Pazifismus keine angemessene Antwort auf den Terrorismus ist“ und: „Der Krieg gegen den Terrorismus ist für Europa von dem gleichen Interesse wie für die USA.“ Mehr noch: Der Kerneuropa-Gedanke, so Kertesz, sei aus osteuropäischer Sicht eine fast hochmütige Idee, Ost- und Mitteleuropa von Entscheidungen fern zu halten.

Schwere Kost für Schröder schon vor dem Buffet, zu dem der Bundespräsident eingeladen hat. Auch manch’ andere haben keinen Appetit auf Häppchen. Draußen hat es zu regnen begonnen, und Manfred Stolpe eilt unter einem ausladenden Schirm mit Petra Pau und Gesine Lötzsch am Arm zu den Limousinen. Von der Bühne am Domplatz tönt derweil Matthias Reim: „Ich liebe euch doch alle“, pardon, nein: „Ich liebe Dich …“

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