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Update

Blog zum NSU-Prozess in München: Prozess bis 14. Mai unterbrochen

Wegen der Entscheidung über Befangenheitsanträge ist der NSU-Prozess vorläufig bis 14. Mai unterbrochen - am Nachmittag sitzen auch zwei Neonazis auf der Zuschauertribüne in der ersten Reihe. Alle Ereignisse des ersten Prozesstages können Sie in unserem Blog nachlesen.

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Am Montag hat der NSU-Prozess in München begonnen. Auf der Anklagebank sitzen Beate Zschäpe sowie vier weitere Angeklagte. Im Vorfeld hat es viele Diskussionen vor allem um die Vergabe der Presseplätze gegeben. Auch der Tagesspiegel ist betroffen gewesen. In der ersten Vergaberunde hatten wir einen Platz, beim Losverfahren gingen wir leer aus. In den kommenden Tagen werden wir mit der Passauer Neuen Presse kooperieren. Bis dahin ist unser Reporter Frank Jansen früh auf den Beinen. Seit nachts um zwei hat er vor dem Gericht ausgeharrt - und schaffte es so in den Saal. Die Geschehnisse rund um den Prozessauftakt können Sie in unserem Blog nachlesen. Mehr zum Thema auch in der Zusammenfassung "Die unheimliche Stille im Gerichtssaal".

17:07 Uhr: Der NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) ist wegen der nötigen Entscheidung über Befangenheitsanträge bis zum 14. Mai unterbrochen. Das sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am Montag.

17:02 Uhr: Im NSU-Prozess hat das Münchner Oberlandesgericht (OLG) auch den Befangenheitsantrag der Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl und zwei weitere Richter vorläufig zurückgestellt. Auch darüber muss aber nun laut Strafprozessordnung „spätestens bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstages“ entschieden werden. Wohllebens Anwalt Olaf Klemke hatte den Antrag zuvor vor allem damit begründet, dass ein Antrag Wohllebens auf einen dritten Pflichtverteidiger vom Gericht abgelehnt worden sei. Klemke verwies auf die zu erwartende umfangreiche Beweisaufnahme und darauf, dass auch die Hauptangeklagte Beate Zschäpe drei Pflichtverteidiger an die Seite gestellt bekommen habe.

16:00 Uhr:

Jetzt sitzen auch zwei Neonazis auf der Zuschauertribüne auf freigewordenen Sitzen - in der ersten Reihe und mit Blick auf alle Angeklagten. Einer der beiden Rechtsextremen zählte vor zehn Jahren zur Terrorgruppe um den bayerischen Rechtsextremisten Martin Wiese. Die Clique hatte 2003 einen Bombenanschlag auf die Baustelle des Jüdischen Gemeindezentrums in München geplant. Polizei und Verfassungsschutz konnten die Neonazis rechtzeitig stoppen. 

15:05 Uhr:

Seit etwa 14.40 trägt Anwalt Olaf Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben, einen Befangenheitsantrag gegen Götzl und weitere Richter vor. Der Strafsenat hatte es abgelehnt, Wohlleben einen dritten Pflichtverteidiger beizuordnen. Klemke moniert, dass Zschäpe drei Pflichtverteidiger hat, Wohlleben nicht. Das gilt allerdings auch für die weiteren drei Angeklagten. Wohllebens Verteidiger hatten gefordert, der Anwalt Wolfram Nahrath solle als dritter Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Nahrath war "Bundesführer" der 1994 verbotenen Neonazi-Organisation "Wiking Jugend". Laut Klemke ist die Entscheidung des Senats, Nahrath nicht beizuordnen, als "nicht willkürfrei" zu bewerten. Wegen des Antrags wird es zunehmend unwahrscheinlich, dass heute noch die Bundesanwaltschaft den Anklagesatz  vortragen kann.

14:30 Uhr:

Auf der Empore sitzt auch der türkische Botschafter Hüseyin Avni Karslioglu. Es sei wichtig, dass der Prozess nun endlich angefangen habe, vor allem für die Familien der Opfer, sagt Karslioglu.

14.20 Uhr:

Im NSU-Prozess will das Oberlandesgericht (OLG) München zu einem späteren Zeitpunkt über den Befangenheitsantrag der Hauptangeklagten Beate Zschäpe entscheiden. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl sagte am Montag nach einer Verhandlungspause, die Entscheidung über den Antrag werde vorläufig zurückgestellt. Zuvor hatte die Bundesanwaltschaft am ersten Prozesstag die Zurückweisung des Befangenheitsantrags gegen Götzl beantragt. Der Prozess wurde am frühen Nachmittag erneut kurzzeitig unterbrochen, nachdem aus den Reihen der Verteidiger Beratungsbedarf geltend gemacht worden war.

Zschäpe hatte den Antrag nach Angaben ihrer Verteidiger mit den Sicherheitskontrollen gegen ihre Anwälte begründet. Die Verteidiger müssen nach einer Verfügung des Gerichts hinnehmen, sich an jedem Prozesstag durchsuchen zu lassen. Dagegen können Vertreter der Bundesanwaltschaft, Richter und im Prozess eingesetzte Justizwachtmeister, Polizisten und Protokollführer ohne Kontrollen in das Gebäude.

13.45 Uhr:

Die Mittagspause beim Prozess gegen Beate Zschäpe ist beendet. Unser Reporter Frank Jansen hat sie genutzt, um weitere Eindrücke und Analysen aus dem Gerichtssaal aufzuschreiben:

Das enorme Interesse von Medien und Zuschauern an „Zschäpe live“, das die Frau mit ihrem überraschend bürgerlich dunklen Dress und der bleichen Coolness fast schon professionell bedient, ist das prägende Bild des ersten Tages im NSU-Prozess. Aber das ist nicht die Geschichte, um die es geht. Auch nicht das Theater um die Akkreditierung von Journalisten und das ungeschickte Verhalten des 6. Strafsenats. Es geht um Rechtsextremismus, um Terror, um zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge mit mehr als 20 Verletzten, um 15 Raubüberfälle auf Geldinstitute und einen Supermarkt, um die dabei von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt attackierten Personen. Es geht um ein abgebranntes Haus in Zwickau und es geht um eine DVD mit einem an Zynismus kaum zu überbietenden Paulchen-Panther-Video, in dem sich der NSU zu seinen Verbrechen bekennt.

Davon ist am ersten Tag wenig zu spüren. Die Nebenkläger drängen sich auch nicht in den Vordergrund. Gekommen sind unter anderem die Angehörigen der vom NSU mit Kopfschüssen hingerichteten Migranten Enver Simsek, Halit Yozgat, Theodoros Boulgarides, Yunus Turgut. Vielleicht zeigen sich der Schrecken und das Leid, das der NSU angerichtet hat, gerade in der Abwesenheit vieler Opfer. Und in der Stille, mit der die nach München gekommenen Hinterbliebenen auf Zschäpe live reagieren. Keine Schreie, keine Flüche, kein inszenierter Schmerz für die Kameras. Nur stille Trauer. Und die Hoffnung auf eine Form von Gerechtigkeit. Einer, der in die Seelen von Angehörigen der Ermordeten geblickt hat, ist Ayhan Sefer Üstun. „Wir erwarten eine gerechte Strafe“, sagt der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament. „Und wir erwarten, dass im Urteil gesagt wird, wie schlimm Rassismus ist“.

Die Strategie der Verteidigung

Der Antrag, den Vorsitzenden Richter Götzl wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, lässt die Strategie erahnen, die Zschäpes Verteidiger verfolgen – und mit der sie vermutlich immer wieder mal die Nebenkläger gegen sich aufbringen werden. Die Opfer und ihre Anwälte wollen, dass der Prozess vorankommt, dass die Frage nach Schuld und Verantwortung der Angeklagten geklärt wird. Das Verständnis für Anträge der Verteidigung, auch wenn sie rechtlich einwandfrei und prozesstaktisch nachvollziehbar erscheinen, ist bei den Nebenklägern gering. Sie haben jahrelang gelitten, sie fühlten sich vom Staat diffamiert, ihr Schmerz wurde lange nicht anerkannt.

Der Mangel an Geduld zeigt sich schon in den Reaktionen auf den Befangenheitsantrag. Zwei Nebenklageanwälte kritisieren Zschäpes Anwälte in harschem Ton. Eine Opferanwältin hingegen gibt den Verteidigern recht – und bittet doch darum, möglichst rasch über den Antrag zu befinden, „am besten noch vor der Mittagspause“, worauf sich Götzl nicht einlässt. Der Konflikt zwischen den Nebenklägern, die im Namen ihrer Mandanten die Forderung nach Gerechtigkeit stellen, und dem Willen der Verteidiger, zumindest der von Zschäpe, für ihre Mandanten auch angesichts monströser Vorwürfe alles juristisch rauszuholen, das dürfte eine der wesentlichen Konfliktlinien dieses Prozesses sein.

So weit es Richter Götzl zulässt. Am ersten Tag gibt er sich wortkarg und wird seinem Ruf als Grantler, mit Hang zu cholerischen Ausfällen, nicht gerecht. Aber er lässt Zschäpes Verteidiger spüren, dass sie ihn nicht treiben können. Den Befangenheitsantrag hatten die Anwälte bereits Samstagabend dem OLG geschickt. Götzl sagt, da war doch Wochenende. Er habe den Antrag „erst am heutigen Tag festgestellt“. Vielleicht ist auch ein wenig Hinterlist dabei, als er Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl ermuntert, den Antrag in Gänze zu verlesen. Wie das auf die Nebenklage wirkt, so ein langes Papier, hat Götzl sich womöglich schon ausgemalt.

13.15 Uhr:

Auch in vielen türkischen Medien ist der Prozess gegen Beate Zschäpe Thema Nummer eins. Neben Zschäpes Kleidung und ihrem Kaugummi wird dort auch die türkische Kritik an der deutschen Polizei in der Zeit der NSU-Morde thematisiert. Hier geht es zu einer kleinen Presseschau.

12:15 Uhr:

Die nächste Unterbrechung: Mittagspause beim NSU-Prozess in München. Die Bundesanwaltschaft will in der Mittagspause eine Stellungnahme zu einem Befangenheitsantrag der Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl vorbereiten. Die Sitzung am Oberlandesgericht München soll um 13.30 Uhr fortgesetzt werden.

In dem Antrag lehnen Zschäpes Verteidiger Götzl wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Hintergrund ist, dass Götzl eine Durchsuchung auch aller Verteidiger vor jedem Prozesstag angeordnet hat - im Gegensatz etwa zu den Vertretern der Bundesanwaltschaft. Das sei eine bewusste Diskriminierung und Desavouierung der Verteidiger, heißt es in dem Antrag, den der Rechtsanwalt Wolfgang Stahl verlas.

Nebenklage-Vertreter kritisierten den Antrag der Verteidiger scharf. „Die verletzte Eitelkeit von Verteidigern ist kein Grund für einen Befangenheitsantrag“, sagte ein Anwalt. „Die Qual der Opfer, die hier sitzen, soll verlängert werden.“ Ein weiterer Nebenklage-Vertreter warf den Verteidigern vor, den Prozess um die „schrecklichsten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte“ zu verzögern.

Zschäpes Verteidiger wiesen diese Angriffe zurück. Es gehe lediglich um die Wahrnehmung prozessualer Rechte - was nicht heiße, dass man das Leid der Opfer nicht anerkenne. Der Rechtsanwalt Wolfgang Heer betonte: „Wir wollen hier niemanden quälen.“ Allerdings beabsichtige man, Zschäpe angemessen zu verteidigen.

Mitglied der Verteidigung? Beate Zschäpe mit Sakko, Bluse und Jeans

12:00 Uhr:

Eindrücke unseres Reporters Frank Jansen aus dem Gerichtssaal: André E. betritt als erster Angeklagter den Saal. Der Mann mit Vollbart und  militärisch geschnittenen, glatt zurückgekämmten Haar geht zielstrebig zu seinem Platz und setzt sich hin. Breitbeinig. Die Arme vor der Brust verschränkt. Ein Rockertyp mit kleinem Tellerohrring im rechte Ohrläppchen. Dann folgt Holger G., er hält einen Pappordner vor den Kopf. Und plötzlich erscheint Beate Zschäpe. Sie schaut kurz auf die Fotografen, dann dreht sie ihnen demonstrativ den Rücken zu. Wie sie da steht, mit nachtblauem Sakko, weißer Bluse und schwarzer Jeans, vermuten ausländische Journalisten auf der Empore, sie sei gar nicht Zschäpe, sondern ein Mitglied ihres Verteidigerteams. Doch es ist Zschäpe, mit bleichem Gesicht und schmalen Lippen, die üppigen, dunklen Haare trägt sie offen. Sie wirkt genervt, verschränkt die Arme, wirft den Kopf kurz nach hinten, doch dann lächelt sie ihre Verteidiger an. Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm haben sich um sie gestellt, die Fotografen und Kameraleute dehnen und strecken sich vergeblich, um Zschäpes Gesichtszüge abzulichten.

Die Nebenkläger, die Journalisten und Zuschauer schauen gebannt auf die Frau. Doch es gibt kaum emotionale Reaktionen. Nur ein junger Mann mit südländischem Akzent ruft von der Empore dem hinter seinem Pappordner verborgenen Holger G. zu, „das ist feige“. So bleibt fast unbemerkt, dass sich Ralf Wohlleben neben seine Anwältin gesetzt hat und mit einer mäßig interessierten Miene in Unterlagen blättert. Gar nichts zu sehen ist hingegen vom Kopf des fünften Angeklagten, Carsten S. Die Kapuze seines dunkelblauen Pullis trägt er so weit heruntergezogen wie ein Mönch im Regen. Er setzt sich, faltet die Hände auf dem Tisch, der Kopf bleibt gesenkt. Carsten S., der sich schon lange von der rechten Szene losgesagt hat, wäre wohl am liebsten unsichtbar.

Zschäpe dreht sich erst um, als eine knappe halbe Stunde später der Vorsitzende Richter Manfred Götzl mit seinen Kollegen erscheint und die Fotografen hinausschickt. Sie blickt selbstbewusst in die Runde, schaut auch zu den Nebenklägern, als Götzl sie bei der Vorstellung aller Prozessbeteiligten auch einzeln nennt. Obwohl längst nicht alle Hinterbliebenen der Mordopfer des NSU und die überlebenden Opfer erschienen sind, ist nicht zu erkennen, ob es Zschäpe etwas ausmacht, mit diesen Menschen konfrontiert zu werden. Dem kann sie auch kaum entrinnen, da eine Kamera das Areal der Nebenkläger auf zwei Wände überträgt. Doch bei Zschäpe ist keine Scheu, keine Hektik zu erkennen. Den schwarzen Laptop, den sie sie vor sich aufgeklappt hat, klappt sie bald wieder zu.

11:30 Uhr:

Gut 20 Minuten wurde der Prozessauftakt unterbrochen. Jetzt geht es wieder weiter.

11:08 Uhr:

Kaum hat der Prozess begonnen, wird er auch schon kurz unterbrochen. Grund ist ein Befangenheitsantrag, den die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe am Wochenende gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl gestellt hatten. Götzl äußerte sich auf Nachfrage des Verteidigers Wolfgang Stahl nicht dazu, wie genau mit dem Antrag verfahren werden solle. Daraufhin beantragten Zschäpes Verteidiger eine kurze Unterbrechung. In dem Antrag argumentieren die Verteidiger, ihre Mandantin habe Anlass, an der Unparteilichkeit Götzls zu zweifeln. Grund hierfür ist die Anordnung, dass die Verteidiger vor Betreten des Sitzungssaals etwa auf Waffen durchsucht werden sollen, nicht aber die Vertreter der Bundesanwaltschaft sowie Polizeibeamte und Justizbedienstete. Damit würden die Verteidiger unter den Verdacht gestellt, sich an „verbotenen und letztlich kriminellen Handlungen zu beteiligen“, heißt es in dem Antrag. „Eine derart diskriminierende und desavouierende Haltung gegenüber den Verteidigern der Mandantin muss das Vertrauen in die Unvoreingenommenheit des abgelehnten Vorsitzenden zutiefst erschüttern und rechtfertigt daher dessen Ablehnung.“

11:04 Uhr:

Die Regeln des Gerichts sind streng. Die Verhandlung hat begonnen. Aus dem Gerichtssaal darf unser Reporter Frank Jansen nur in den Verhandlungspausen und -unterbrechungen Texte und Eindrücke schicken. Auch Handys sind im Saal nicht gestattet.

10:45 Uhr:

Auf der Zuschauertribüne sitzen auch Vertreter des türkischen Parlaments.

10.24 Uhr:

Mit fast halbstündiger Verzögerung betrat um 10.24 der OLG-Senat unter Vorsitz von Manfred Götzl den Saal, um 10.26 Uhr schlossen sich die Türen. Kurz vor Beginn des Prozesses waren die Angeklagten in den Gerichtssaal geführt worden. Mit Aktendeckeln und Kapuzen schützten sich zwei von ihnen vor dem Blitzlichtgewitter der Fotografen. Die Hauptangeklagte Zschäpe wurde ohne Handschellen in den Gerichtssaal geführt und unterhielt sich mit ihren Anwälten.

10 Uhr:

Kurz vor dem Beginn des NSU-Prozesses haben Demonstranten in München die rückhaltlose Aufklärung rechtsextremer Strukturen über die Terrorzelle hinaus verlangt. Die für die Aufklärungspannen verantwortlichen Behördenvertreter müssten zur Verantwortung gezogen werden, verlangten Teilnehmer einer Kundgebung des „Bündnisses gegen Naziterror und Rassismus“ am Montagmorgen vor dem Strafjustizzentrum in München. Es kommt zu Auseinadersetzungen, weil zwei Frauen versuchen, Absperrungen zu durchdringen. "Zeit Online" twittert, dass auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) als Schlichter auftritt.

Vor dem Oberlandesgericht München soll um 10.00 Uhr der Prozess um die Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) beginnen. Mehr als dreizehn Jahre lang konnten die Täter unerkannt unter falschen Identitäten im Untergrund leben. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe muss sich als Mittäterin der rechtsextremistischen Verbrechensserie verantworten. Dem NSU werden Morde an neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin sowie Anschläge und Raubüberfälle zugeschrieben.

9.45 Uhr:

Das schlichte, dunkelbraune Holzkreuz hängt noch. Über einem der beiden Eingänge zum klobig modernen Saal A 101 des Oberlandesgerichts München prangt das alte christliche Symbol, gleich gegenüber von Beate Zschäpe und den weiteren vier Angeklagten. Sie sitzen mit ihren Verteidigern an drei Tischreihen. Zschäpe vorne rechts, weiter links dann André E., dahinter Ralf Wohlleben und, etwas überraschend, seine Ehefrau. In die letzte Reihe sind die Angeklagten Holger G. und Carsten S. platziert. So zeigen es die Namensschilder auf den Tischen. Die acht Richter des 6. Strafsenats, darunter drei Ergänzungsrichter, sitzen erhöht an einem schweren, halbrunden Tisch. Links davon werden die vier Vertreter der Bundesanwaltschaft Platz nehmen. Vor der Riege der etwa 80 Nebenkläger und ihrer Anwälte sitzen in einer Linie die Sachverständigen. Die Reihen der Nebenkläger ziehen sich in den Bauch des Saales hinein, weit unter die Empore mit den insgesamt 101 Journalisten und Zuschauern.

Der in zart lindgrün gestrichene Saal ist so weit vollgestellt, dass sich beinahe alle Prozessparteien sehr nahe kommen. Die Bedrängnis steigert noch der Blick an die Decke. Da ragen beinahe drohend schachtartige Baukörper herab. Das sieht von unten aus wie das Triebwerk einer Rakete zum Mond.

Den  Journalisten und Zuschauern, die nach stundenlangem Warten endlich in den Saal gelangt sind, ist die unförmige Decke vermutlich egal, wohl auch das hässliche Design im Stil der 70er Jahre an sich. Vor dem Gebäude haben einige  Leute bereits seit Sonntag gestanden, um in den NSU-Prozess hineinzukommen. Einer, der seit 16 Uhr ausgeharrt hat, ist Bayram Aydin, Mitarbeiter der türkischen Zeitung „Zaman“ in München. „Wir haben beim ersten Akkreditierungsverfahren keinen Platz bekommen“, Aydin lächelt matt, „und beim zweiten auch nicht. Weil die Richter einen Platz, der für die türkischen Medien reserviert war, dem türkischen Büro von Al Jazeera gegeben hat. Aber das sind Araber, das ist kein türkischsprachiges Medium“. Aydin lächelt jetzt nicht mehr. „Wir haben bei Gerichtspräsident Huber protestiert, doch er hatte kein Verständnis.“

Warum hat er sich schon am Sonntag vor das Gericht gestellt? „Weil wir Türken direkt von den Verbrechen des NSU betroffen sind. Wir möchten wissen, wie der Prozess abläuft“. Aber er habe, sagt Aydin, „ein gutes Gefühl“, dass die Hauptverhandlung klären werde, welche Schuld Zschäpe und die Mitangeklagten auf sich geladen haben.

Da ist sich Sami Demirel nicht so sicher. „Frau Zschäpe kriegt 12 Jahre Haft, und was ist erreicht? Nichts ist erreicht!“ Die Taten des NSU würden vom Staat „immer noch zugedeckt“, sagt der Mann vom Türkenrat München. Die Terrorgruppe habe doch Rückendeckung bekommen. Von wem? „Der Verfassungsschutz hat denen geholfen, das habe ich in den deutschen Medien gelesen.“ Anders sei doch auch nicht zu erklären, wie in Deutschland, „einem bestens organisierten Staat, so was passieren kann!“

Mit Klappstühlen warten die Menschen vor dem Gericht

9.30 Uhr:

Fünf Abgeordnete aus der Türkei sind zur Beobachtung des NSU-Prozesses nach München gekommen. „Wir erwarten Gerechtigkeit“, sagte der Parlamentarier Ayhan Sefer Üstün am Montag kurz vor Beginn des Prozesses. „Wir erwarten ein Urteil, das die Gewissen beruhigt.“ Der Vorsitzende der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments betonte: „Das ist eine historische Chance für das Gericht.“

Die Abgeordneten wollen zunächst die ersten beiden Prozesstage begleiten. Der türkische Generalkonsul in München, Kadir Hidayet Eris, begleitete die Delegation. „Das ist vor allem psychologisch ein wichtiger Tag für die Angehörigen“, sagte Eris. Seine Botschaft wolle jeden Prozesstag beobachten. Auch der türkische Botschafter Hüseyin Avni Karslioglu werde am Prozessauftakt teilnehmen.

9.00 Uhr:

Die Hauptangeklagte des NSU-Prozesses, Beate Zschäpe, ist zum Beginn des Verfahrens am Montagmorgen im Münchner Strafjustizzentrum eingetroffen. Die 38-Jährige wurde in einem schwarzen gepanzerten Wagen von der Justizvollzugsanstalt Stadelheim zum Gericht gefahren, wie ein Polizeisprecher bestätigte. Der Konvoi verschwand gegen 8.40 Uhr in der Tiefgarage des Gerichtsgebäudes.

Dort wurde Zschäpe zunächst in einen Haftraum gebracht, bevor sie in den Gerichtssaal geführt wird. Die mutmaßliche Neonazi-Terroristin muss sich ab 10.00 Uhr in München als Mittäterin der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ verantworten.

8.15 Uhr:

Alle hier warten auf die Frau, die sie bisher nur von wenigen Fotos kennen. Beate Zschäpe wird das erste Mal wieder in der Öffentlichkeit erscheinen und dabei auf die Angehörigen der Menschen treffen, die Opfer der NSU-Terroristen wurden. Nach wochenlanger Debatte um die Sitzplatzvergabe für Journalisten soll mit Prozessbeginn wieder die Aufarbeitung der Verbrechen im Vordergrund stehen.

Zschäpe wird Mittäterschaft an zehn Morden vorgeworfen

Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe die Mittäterschaft an zehn Morden, acht davon an türkischen Kleinunternehmern, vor. Mit ihr angeklagt sind vier mutmaßliche Helfer des NSU. Zschäpes Anwälte haben angekündigt, ihre Mandantin werde schweigen.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind gewaltig. 500 Polizisten sind im Einsatz, um die Sicherheit zu garantieren und die angekündigten Demos zu begleiten. Auf dem Vorplatz des Gerichts haben die Beamten Absperrgitter in zwei Reihen aufgestellt. Die Straßen wurden weiträumig abgesperrt, Spezialkräfte überwachen den Luftraum. Konkrete Hinweise auf Anschläge allerdings gebe es nicht, hatte die Polizei noch vor dem Wochenende betont.

Vor dem Münchener Gericht haben es sich die Wartenden mit Klappstühlen bequem gemacht

Die Beamten sind auf alles vorbereitet - in den Morgenstunden aber bleibt auch der Besucheransturm überschaubar. Die Meisten auf dem Platz hatten mit mehr Gedrängel gerechnet. Stattdessen hat man es sich mit heißen Getränken oder auf - eigentlich verbotenen - Klappstühlen gemütlich gemacht.

Sami Demirel sitzt auf einem Kissen zwischen den Absperrungen. Für ihn geht es heute um mehr, als um die Frau auf der Anklagebank. „Eine schmerzliche Sache“ seien die Taten der NSU für die türkische Gemeinschaft gewesen, erklärt der 51-Jährige Türke, der in Deutschland lebt. Der Verfassungsschutz sei Mitschuld an der Mordserie. Vom Gericht erwartet Demirel deshalb nicht nur einen Schuldspruch. „Sie müssen irgendetwas machen, so dass wir die Gerechtigkeit nicht verlieren“, sagt er, zögert, und setzt hinzu: „Und das Vertrauen.“

Die Polizisten vor dem Oberlandesgericht München sind auf alles vorbereitet.
Die Polizisten vor dem Oberlandesgericht München sind auf alles vorbereitet.

© dpa

Schon am Sonntag herrschte vor dem Betonklotz des Oberlandesgerichts München ein Medienauftrieb wie bei einer Landtagswahl. Auf dem Platz vor dem Eingang stehen Kamerateams, Journalisten aus dem In- und Ausland sprechen mit ernster Miene ihre Texte. An der Nymphenburger Straße reihen sich auf der Seite vor dem Gericht mehrere hundert Meter lang Übertragungswagen aneinander – ARD, WDR, Bayerischer Rundfunk, Privatsender, türkische Fernsehanstalten. In der Kolonne der Ü-Wagen stehen zudem Campinganhänger und Wohnmobile für die Mitarbeiter der TV- und Hörfunksender. Männer und Frauen ziehen Kabel oder sitzen auf Klappstühlen an den Ü-Wagen und besprechen technische Details.

Zum Prozessauftakt werden Journalisten freundlicher behandelt, als bisher

Die Polizei hat die Parkplätze den Medien zuliebe gesperrt. „Frei für Presse / Staats-Schutzverfahren Oberlandesgericht München“ steht auf Schildern. Die Sperrung gilt von Sonntag bis Mittwoch und nächste Woche wieder für vier Tage, also für die jeweils drei Prozesstage und den Tag zuvor. Eine erstaunliche Geste der Behörden im NSU-Verfahren. Bislang wurden da Journalisten nicht gerade freundlich behandelt. Das wochenlange Gezerre um die Vergabe reservierter Sitzplätze für den Gerichtssaal hatte eher den Eindruck erweckt, die Medien seien nur lästiges Beiwerk.

Vor dem Münchener Oberlandesgericht reihten sich bereits am Sonntag die Übertragungswagen der Medien aneinander.
Vor dem Münchener Oberlandesgericht reihten sich bereits am Sonntag die Übertragungswagen der Medien aneinander.

© dpa

Vor dem Eingang des OLG wurde schon vergangene Woche eine festzeltartige Überdachung aufgebaut. Innen drin weisen gelbe Absperrgitter dem erwarteten Publikum den Weg. Festakkreditierte Journalisten links, Zuhörer in der Mitte, Beteiligte anderer Prozesse, die es ja auch noch gibt, müssen in die rechte Spur. Am Sonntag darf sich allerdings noch keiner anstellen. Ein Mann hat sich aber am frühen Abend auf einen nahen Betonsockel gelegt, neben ihm steht einer dieser kleinen Trolleys, die Rentner zum Einkaufen nutzen. Vielleicht ist der Mann ein Journalist ohne feste Akkreditierung und will etwas Schlaf tanken, um dann als Erster für den NSU-Prozess am Eingang zu stehen. Doch ein Polizist weckt und verscheucht ihn. Womöglich war es doch kein Journalist, sondern nur ein Obdachloser.

In der Nacht zu Montag halten sich weiterhin Journalisten auf dem Vorplatz auf. Kurz nach zwei Uhr stellen sich die ersten in die Spur für Zuhörer. Eine Kollegin der „Welt“ sagt, seit neun Uhr abends sei sie da. Das sind die Medienleute, die in der ersten Runde der Akkreditierung einen festen Platz bekommen hatten – der ihnen dann beim Losverfahren abhanden kam. (mit dpa)

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